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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn
Autoren: Georg Cadeggianini
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Platz. Immer wieder.
     
    Drei Jahre später ging es zurück nach Italien. Diesmal nicht in die Ferien, sondern um dort zu leben. Aus den zwei Strichen unter der Schutzhülle war ein stattliches Mädchen geworden. Gianna, zwei Jahre alt. Neben ihr ratzte die kleine Schwester im Kindersitz, Elena, drei Wochen. Meine Frau fuhr. Ich las Zeitung.
    Wir sind Familie Golf, irgendwo im Durchschnitt:
    1  Frau, 1  Mann, 2  Kinder. Sie nennt ihn »Schatz« oder »Liebling«, abends schon auch mal »Schuft« oder »Stier«. Er sagt, er könne das nicht leiden – und grinst. Sie hat schnell noch Apfelschnitze und Selleriestifte in Brotzeitboxen gepackt (»Ja, unsere Große, die mag das unglaublich gern. Wirklich!«). Er weiß, dass sie sich um solche Sachen kümmert. Er findet das nicht sexy, aber praktisch. Und das ist ja auch wichtig.
    Wenn schon Familie, sagten wir immer, dann zwei Kinder, am besten Mädchen und Junge. Gut, das hat nicht hingehauen … – aber sind sie nicht irre goldig? Und waren zwei Mädels in Wahrheit nicht schon immer unser geheimer Wunsch?
    Auf dem Notsitz in der Mitte, der, der nur diesen Bauchgurt ohne automatischen Einzug hat, stand eine Kühltruhe mit belegten und längs halbierten Vollkornbroten (»Zu viel Weißweizenmehl ist einfach nicht gesund«). Draußen flitzten die ersten Zypressen auf Toskanahügeln vorbei. Bald würden wir einen italienischen Rasthof ansteuern, einen »Fini« oder noch lieber einen »Autogrill«. Wir würden runterbremsen, uns strecken, den warmen Asphalt durch die Schuhsohlen spüren, an der Bar zwei kleine Espressi schlürfen. Vielleicht sogar anstoßen. Auf ein neues Leben. Italien, Toskana, Florenz. Wir, Familie Golf. Alles ist großartig. Herrliches Leben. Golf sei dank.
    Ich wollte schon jetzt ein wenig von dieser neuen Luft hineinlassen: Erholung, Freiheit, Abenteuer, dachte ich. Jetzt. Das Schiebedach!
    Es war ein ungutes Geräusch, irgendetwas zwischen Zahnarztpraxis und Tierversuch. Ein kleiner, günstiger Schiebedachmotor mühte sich, er kämpfte und er erzählte von seinem Kampf. Ach was: Er brüllte mit aller Motorkraft. Darunter saß ich, hämmerte auf die Knöpfchen, und fand – das Geräusch erstarb – das richtige als letztes. Zu spät.
    Autobahnluft zischte in den Wagen, es stank nach Lkw und Gummi. Von wegen Freiheit, Abenteuer, Autogrill. Viola fluchte, ich sollte das Ding wieder zumachen, sofort. Gianna krähte. Elena plärrte. Der Schiebedachmotor schwieg.
    Und ganz plötzlich war die geschmeidige Golf-Familie weg, und es waren wieder wir, die drinsaßen, Familie Sitzvollbrösel: Keiner im Wagen hatte eine abgeschlossene Berufsausbildung, zwischen den Kindern stand eben keine Kühltruhe, sondern schlecht gepackte und dann auch noch mies gesicherte Pappkisten, unsere älteste Tochter nennen wir nie »unsere Große«. Sie heißt Gianna und natürlich: Sie hasst wenig mehr auf der Welt als Sellerie. Und, ach ja: Der Wagen, den ich ein paar Monate später beim rückwärts aus der Tiefgarage Eiern vollkommen unbedrängt an der Wand entlangscheuerte, war auch nur geliehen, von meinen Schwiegereltern. Das Allerschlimmste daran war, dass meine Frau das auf ihre Kappe nahm. Ihr Angebot – und ich war zu klein, um nein zu sagen. Ein Mann, der in einer italienischen Schwiegerfamilie rangieren will, dachte ich, tut nicht gut daran, sich zu automobilem Dilettantismus und PS -Leidenschaftslosigkeit zu bekennen. Das ist wie eine Packung Viagra, die aus der Hemdtasche lugt: Ja, ich mach da auch irgendwie mit, aber gebacken bekomme ich’s nicht. Ausgerechnet hier, in Italien, wo Frauen im Fernsehen exakt zwei Rollenbilder vorgesetzt bekommen: »Barilla« oder »Velina«, Hausfrau beim Pastakochen oder halbnacktes TV -Starlet beim Popowackeln. Im Ranking der Geschlechtergerechtigkeit belegt Bella Italia weltweit Platz 72 , hinter Vietnam, Rumänien und Tansania. Ausgerechnet da habe ich meine Frau vorgeschickt. Jaja, das Einparken und die Frauen – und dann wird dieses Italo-Macho-Sonnenbrillen-Grinsen gegrinst. Und ich Depp grinse auch noch mit.
     
    Ich hielt meinen Kopf in den Autobahnwind, warf einen Blick durch die Schiebeluke nach hinten. Da klemmten auf dem Golfdach, zwischen den Holmen der Reling vertäut, ein gutes Dutzend Ökowindelpakete. Das Schiebedach hatte sich in die Packungen geschoben, sie zusammengestaucht, einzelne Windeln ausgefräst, die sich dann in dem Schlitz zwischen Auto- und Schiebedach verkeilt hatten. Wer, bitteschön, kann
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