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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn
Autoren: Georg Cadeggianini
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Glas.
    Ich könnte jetzt Kräcker holen. Ob es in Japan überhaupt so herrliche Kräcker gibt wie in meinem Schrank, könnte ich fragen, die Kräcker in eine Schale schütten. Dann würden wir Kräcker essen, über Kräcker reden.
    Plötzlich merke ich, wie ein Gedanke mein Gehirn kapert, mir ein Grinsen in die Mimik malt. Nix Kräcker, Klartext also, denke ich. So klar das eben gerade geht mit dem ganzen Klostein im Hirn, und fange auch schon an, stolpere schon los in den Gedanken.
    »Zum Glück«, flüstere ich, »haben wir eine Alternative. Wir haben eine echte Chance. Und zwar genau
eine
.« Ich richte mich im Sessel auf, schiebe Oberkörper und Kopf nach vorn, in Richtung meines alten Mitschülers. »Es ist genau das«, raune ich, »was du vorhin gesagt hast. Du hast es bereits gesagt, Simon.«
    Als er seinen Namen hört, zuckt Simon zurück, wie ein Kleinkind, das einen Frosch beobachtet – die immer feuchte Haut, die menschengleichen Augenlider, die pulsierende Bauchdecke – und das dann bis auf die Knochen erschrickt, wenn das Tier plötzlich einen Satz macht.
    Simon reibt seinen Rücken im Sessel, zieht die Schultern hoch, als ob gerade das letzte Fünkchen Vertrauen auf dem Prüfstand stünde. Ich schiebe meinen Kopf noch weiter vor: » CYL .«
    »Hä?«
    »Die Chance heißt CYL : Complicate your life.«
    Simon lässt seine Augen von links nach rechts und wieder zurückwandern. »Und was bitte soll das heißen?«
    »Wenn es kompliziert wird, mach es komplizierter.«
    »Komplizierter? Zurück in die Fremdbestimmung? Die Freiheit wieder abgeben? Entschuldigung, das Teil zwickt in der Hüfte, die Farbe sieht im Tageslicht irgendwie ganz anders aus. Nein, nein, ich will nichts Neues. Danke. Einfach das Geld zurück. Ist das dein Ernst?«
    »Wenn es kompliziert wird, mach es komplizierter!«, doziere ich ungerührt weiter. »Und wenn es mal wirklich zu kompliziert werden sollte, dann musst du nichts weiter tun, als es einfach noch ein wenig komplizierter zu machen. Das ist alles.«
    »Du hast Angst«, quittiert Simon und steht auf. Sein Kopfschütteln sieht aus, als ob er friere.
    »Gin«, sagt er jetzt, er brauche mehr Gin. Als er in die Küche trottet, sehe ich einen Streifen Pasta, so breit wie ein Feuerwehrschlauch, der auf dem Hinterteil seiner Balmain-Jeans klebt.
     
    Complicate your life? Was das eigentlich heißen soll? Ich brauchte vier Länder, über 100 Monate, fünf Wohnungen, sechs Kinder, um das zu verstehen.

1  Frau
1  Mann
2  Töchter
2001
11  Monate
in Florenz, Italien
    wo ich dank eines Schwiegermuttertricks, Rehschlegel und der Tochter vom Polizeikommandanten zum Italiener werde: Man hat immer mehr, als man glaubt
    Einerseits waren da die Feigen im Garten, das Meer in Fahrradnähe, überall Toskanaluft und die richtige Frau an der Seite. Urlaub. Andererseits drohten zu Hause in München eine Stromnachzahlung und die Zwischenprüfung in Philosophie. Das Bett könnte mal wieder gemacht werden, und Shit ist auch schon wieder alle. Das Leben ist doch auch immer gleich: grandios und kacke – und immer alles auf einmal. Und jetzt hingen da diese Chenille-Stränge vom Türbalken. Sollen die Mücken draußen halten. Ockerfarben sind diese Schnüre, flauschig, sehen aus wie herunterhängende Löwenschwänze. Als ob zwei Dutzend Raubkatzen über der Tür kauerten, auf eine falsche Bewegung lauerten.
    Viola drapierte die Schutzhülle zurück auf den Test. Da war kein Zittern, nichts. Coole Traumfrau eben, gerade mal 22  Jahre alt. Drei Minuten, stand auf dem Beipackzettel, drei Minuten müsste man warten, um ein zweifelsfreies Ergebnis ablesen zu können: ein oder zwei Striche.
    Wir stürmten nach draußen, die Löwenschwänze wirbelten. Wir tobten. Nur nicht sitzen, nur nicht denken. Ich bolzte auf einen Ball. Ich wollte eigentlich nur ein bisschen dagegentreten, ein bisschen kicken. Aber er flog und flog, über die Lorbeerhecke, über die Obstbäume, hinter zum Gartenhäuschen. Viel zu weit.
    War das das letzte Aufbäumen von Ungebundenheit? Würde ab jetzt alles anders werden? Schlusstusch der Freiheit? Der beste Fehler meines Lebens?
    Die Löwenschwänze standen still. Eine leichte Brise kam auf. Die Schwänze blieben eisern. Da drinnen wartete der Test, unter der Schutzhülle.
     
    Abbrechen, aufbrechen, ausbrechen. Wer sein Leben erfolgreich verkomplizieren will, muss weg. Der darf nicht aufbauen, planen, zu Ikea gehen. Wo sehen Sie sich in fünf Jahren? Woanders. Genau dort ist Ihr
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