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Aus der Hölle zurück

Aus der Hölle zurück

Titel: Aus der Hölle zurück
Autoren: Tadeusz Sobolewicz
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nahm er selbst an sich.
    Gleichgültig, was alles hätte passieren können – ich bewunderte Henek. Er hatte sich zu einer Tat aufgerafft. Sein Mut imponierte mir. Dieser dreißigjährige Jude aus Łódź hatte so lange gelitten. Noch auf dem Marsch hatte er mir von seinen vergasten Kindern erzählt. Nun hatte er sich entladen müssen. Er hatte nicht anders gekonnt. Er hatte übrigens das Recht dazu, die Ermordeten zu rächen. Er war sich bestimmt nicht darüber klar, daß er auch mir eine gewisse Genugtuung verschafft hatte.
    Der Besitz einer Waffe ließ mir bewußt werden, daß auch ich Grund genug hatte, Vergeltung zu suchen. Für meinen in der Gaskammer von Birkenau ermordeten Vater, für meine Mutter in Ravensbrück, für den unwiederbringlichen Raub meiner Kindheit, für die verlorene, durch den Krieg vergällte Jugend. In mir keimten gefährliche Gedanken auf. Verbissen schaufelte ich an dem Loch, und zusammen mit Benek zerrten wir die Leichen hinein. Dann kehrten wir zur Scheune zurück. Zbyszek bastelte an dem Motorrad herum. Nachmittags wurden wir durch das laute, erregte Schwatzen der gerade den Hof unseres Bauern betretenden Frauen von unserem Strohlager aufgescheucht. Wir fragten sie nach dem Grund ihrer ungewöhnlichen Aufregung und erfuhren, daß in Fridolfing, also einer nicht mehr als zwei Kilometer entfernten Nachbarsiedlung, die Amerikaner eingerückt seien. Das war eine aufmunternde, zuversichtliche Neuigkeit. Zwei Stunden später rief Henek, der gerade Wache hatte, mit weithin hallender Freudenstimme: »Die Amerikaner! Jungs, die Amerikaner sind da!«
    Rasch liefen wir auf die Dorfstraße hinaus. Tatsächlich, in Muttering fuhren amerikanische Panzer ein. Krach und Motorenlärm übertönten unser Freudengeheul. Die Erde dröhnte unter der Last der stählernen Ungetüme. Die Panzersoldaten standen in den offenen Turmluken, lachten und bewegten unablässig den Mund. Sie kauten Kaugummi. Als sie uns in unserer gestreiften Lagerkluft entdeckten, hielten sie an. Ein Offizier mit goldenen Hauptmannstressen fragte in gebrochenem Polnisch: »Wie seid ihr denn hierhergeraten?«
    Wir erklärten ihm, daß wir uns sechs Tage lang verborgen gehalten hätten. Wir bestätigten auch die Unterstützung, die uns die Einwohner von Muttering gewährt hatten. Der Offizier warf uns mehrere Pullover und Konservendosen zu und empfahl uns dann, uns im Stab der Einheit, in einer nur wenige Kilometer von unserer Siedlung entfernten Ortschaft, zu melden. Von ihm erfuhren wir auch, daß die Russen in Berlin seien und daß Hitler wirklich nicht mehr lebe. Er erwähnte, daß der Krieg jeden Augenblick zu Ende sein werde.
    Die Panzer setzten sich wieder in Bewegung, und wir brüllten gemeinsam mit den Bayern, was die Lungen nur hergaben: »Es lebe die Freiheit! Es lebe die Freundschaft! Es leben die Alliierten!« Von Zeit zu Zeit wurden uns von den durchziehenden Fahrzeugen oder Panzern Konserven und einige Uniformstücke zugeworfen.
    Echte Freude wird dem Menschen nur selten zuteil. Aber die Freude, die ich beim Anblick der ersten amerikanischen Soldaten verspürte, jener Freunde, die uns die heiß ersehnte Freiheit gebracht hatten, diese Freude werde ich wohl nie vergessen. Wer nie in Gefangenschaft geschmachtet hat, wird nur schwer verstehen können, welche Gefühle die Freiheit im Herzen eines befreiten Menschen zu erwecken vermag.
     
    Die nächsten beiden Nächte schliefen wir endlich, ohne Wachen aufzustellen. Wir erholten uns ohne Anspannung und Furcht. Wir kamen etwas zu Kräften.
    Am frühen Morgen des 9 . Mai 1945 dankten wir den Bayern für ihre Hilfe bei unserem Verbergen vor der SS , für ihre Betreuung und für die Verpflegung während einer ganzen Woche. Als Gegenleistung überreichten wir ihnen ein paar Konservendosen und Zigaretten, die wir von den Amerikanern bekommen hatten. Sie verabschiedeten uns mit Tränen in den Augen, und auch uns war irgendwie mulmig zumute. Es gibt vielfältige Begegnungen im Leben. Und es gibt verschiedenartige Deutsche. Und es ist wohl gut, daß wir uns auch in den letzten Kriegstagen davon überzeugen konnten.
    Zbyszek startete das Motorrad, mit dem wir zu viert zu der amerikanischen Einheit fahren wollten. Wir fanden nur schwer auf dem SS -Vehikel Platz, das uns jetzt als Sonderfahrzeug dienen sollte. Auf dem Feldweg durch die Wiese fuhren wir langsam und erreichten schließlich die Hauptchaussee. Auf der asphaltierten Fahrbahn kam das Motorrad schneller voran. Einige
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