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Aus der Hölle zurück

Aus der Hölle zurück

Titel: Aus der Hölle zurück
Autoren: Tadeusz Sobolewicz
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Theater. Und als er erstmals als Statist auf der Bühne steht und einen anderen Menschen zu verkörpern hat, da weiß er, wie sein weiterer Weg aussehen soll. Er will weg von seiner Erinnerung, in immer neue Rollen schlüpfen, aus sich heraustreten, ein anderer sein, wenigstens für Stunden.
    Bei der ersten Gelegenheit kehrt er zurück zur Mutter, die wieder in ihrer Geburtsstadt Tarnow lebt, am dortigen Theater wird er Schauspielschüler. Ein neues, ein neuartiges Leben beginnt. Mit jeder Rolle, mit jedem neuen Text erobert er sich ein Stück Leben. Er taucht ein in die Welten der Literatur, entdeckt die europäische Klassik, Shakespeare und die geheimnisvollen Mythen der Antike. Und er findet ein neues Umfeld, das ihn stützt und schützt. Seine Schauspielkollegen helfen ihm, bis er 1954 als 30 jähriger an seinem Ziel angelangt ist. Er hat die Prüfung zum Berufsschauspieler bestanden und kann nun an allen staatlichen und privaten Theatern arbeiten. Vor ihm liegt eine neue, scheinbar grenzenlose Welt – das Theater. Trotz seiner angeschlagenen Gesundheit, die ihn immer wieder zur Regeneration ins Sanatorium zwingt, kann er nun beständig in immer wieder neue Rollen schlüpfen. Seine Laufbahn beginnt er in Rzeszow, in Südpolen, dessen Landschaft ihn nicht mehr losläßt: Sosnowiec, Katowice, Zabrze, Bielsko, Wroclaw und schließlich Krakow. Ist es Zufall, daß er um die Stätten seiner Gefangenschaft im südlichen Polen kreist? Es scheint so, als könne er sich nicht loslösen von Auschwitz, dem ersten der Lager, wohin er aus der Gestapohaft gebracht wurde. Wo er den Vater wiedergefunden hatte und wo er mitansehen mußte, wie dieser starke Mann, der immer sein Vorbild und seine Stütze war, zugrunde gerichtet und schließlich umgebracht wurde.
    Auch die letzten 10  Jahre seines Berufslebens bleibt er in Kattowice, in der Nähe »des Lagers«. So sehr ihm immer neue Rollen helfen, Abstand zu gewinnen, so sehr erweist sich die Rettung als vorläufig und trügerisch. Mitte der 70 er Jahre drängen ihn die wenigen, denen er Bruchstücke aus einem »alten Leben« erzählen konnte, immer mehr: »Jemand wie du darf nicht schweigen!« Aber wie sprechen? Er wagt den letzten Schritt, er übernimmt die Rolle der Schergen. Er tritt sich selbst als der Täter gegenüber. In Robert Youngs bekanntem Film
Triumph of Spirit
spielt der ehemalige Auschwitz-Häftling mit dem roten Winkel des Widerstands, Nummer P 23 053 , den Sturmbannführer! Noch heute erinnert er sich, daß er einen deutschen Schauspieler, der einen Hauptscharführer zu spielen hatte, erst einmal richtig »ankleiden« mußte, weil der das Eiserne Kreuz auf der falschen Seite trug. Bei mehreren polnischen Filmproduktionen übernimmt er daraufhin die Rolle des »Beraters« für den Alltag im Lager, er bürgt für die authentische Inszenierung.
    Tadeusz Sobolewicz ringt mit seiner Erinnerung, er stellt sich ihr, er akzeptiert, daß er sie weiterzugeben hat. Zunächst schreibt er einzelne Erinnerungen auf, die in Zeitungen veröffentlicht so viel Resonanz finden, daß er sich bald ganz dieser Aufgabe widmet. Sein letztes Engagement hat er in Katowice, wiederum im weiteren Umkreis des Lagers. Nach seiner Pensionierung 1983 vollendet er seine
»Lebensgeschichten«
und reicht sie beim XVI . gesamtpolnischen Wettbewerb für Erinnerungsliteratur zu Auschwitz ein. Der 1 . Preis wird ihm nicht nur verliehen, weil er ein so umfangreiches Werk abliefert, sicherlich auch nicht nur auf Grund der Tatsache, daß er sechs verschiedene Konzentrationslager oder Außenlager überlebt hat. Das Besondere seines Buches liegt darin, daß der Autor zwar eine Autobiographie schreibt, aber sich in seinem Alltag immer auch von außen beobachtet und beschreibt. Von der Perspektive des neuen Lebens aus richtet er seinen Blick auf das alte und entdeckt sich dort in der Gegenwart des Lagers. Fast scheint es, daß er erst das Theater mit den verschiedenen Rollen durchlaufen mußte, bevor er sich wieder entdecken konnte, nun aber aus der Distanz, so als ob er seine eigene Rolle spielte. So ist ein persönliches Buch und eine wichtige historische Quelle entstanden.
    Das Buch erscheint deswegen auch im Verlag des Staatlichen Auschwitz-Museums und erlebt schnell mehrere Auflagen. Fast unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit wird es 1993 in deutscher Übersetzung im gleichen Verlag veröffentlicht, zunächst aber nur in der Gedenkstätte selbst angeboten. Dort wird es zwar von tausenden
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