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Aus der Hölle zurück

Aus der Hölle zurück

Titel: Aus der Hölle zurück
Autoren: Tadeusz Sobolewicz
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»Biuletyn Informacyjny« aus der Druckerei abholen und die Auflage an einen bestimmten Treffpunkt bringen. Ich brachte gefälschte Kennkarten zu Major Kosiba und holte bei dieser Gelegenheit die fertige Kennkarte für einen sich verbergenden Krakauer Offizier ab. Damals unterlagen alle ehemaligen Militärs der Meldepflicht. Diejenigen, die eine geheime, konspirative Tätigkeit in einer Militärorganisation aufnahmen, mußten deshalb ihre Identität wechseln und brauchten neue Papiere. Auf diese Weise verheimlichten sie ihren Status als Berufssoldat. Ein anderes Mal fuhr ich mit dem Fahrrad zum Försterhaus »Jodłówka« und überbrachte ein Päckchen mit zwei Pistolen.
    Abb.  1
    Der Verfasser im Alter von elf Jahren als Pfadfinder.
    So fing es an. Dutzende, ja Hunderte von Pflichten und Befehlen. Mein Vater vereidigte neue Mitglieder der Organisation – Arbeiter, Unteroffiziere, Handwerker, Lehrer, Ärzte oder Rechtsanwälte. Dabei spielte ihre politische und weltanschauliche Überzeugung keine Rolle. Diese Leute bildeten, wie ich rasch mitbekam, das weitverzweigte Netz einer militärischen Struktur. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, sich den Anordnungen der Besatzer zu widersetzen und das Volk allmählich auf einen bewaffneten Aufstand vorzubereiten.
    Mein Vater wollte mir ein Alibi verschaffen und hatte sich deshalb darum bemüht, daß ich an dem einzigen, von den Deutschen eröffneten Handelsgymnasium aufgenommen wurde. Vormittags besuchte ich den Unterricht in Buchhaltung oder Warenkunde. Meine »Freizeit« war ausgefüllt mit Aufträgen und Befehlen des Vaters. Das wirkte sich negativ auf meine Ausbildung in der Schule aus, aber die Zeiten waren nun einmal nicht anders. Das wichtigste war die Organisation, die für Polen und die Unabhängigkeit des Landes kämpfte. Ich war stolz auf meine Rolle und auf die Aufgaben, mit denen mich mein Vater betraute. Dabei kamen mir meine Erfahrungen als Pfadfinder zustatten. Meine Aufträge führte ich einwandfrei aus. Meine Mutter war ebenfalls restlos der Sache ergeben. Wie hätte es auch anders sein können.
    Um die Spitzel und Zuträger der Gestapo in die Irre zu führen, löste mein Vater nach einiger Zeit das Handelsbüro auf und zog mit uns in ein kleines Vorstadthäuschen. Der Umzug war vergeblich: Anfang September 1940 wurde unser Haus von der Gestapo umzingelt. Nach einem kurzen Hin und Her an der Haustür gelang es dem Vater, die Aufmerksamkeit der Geheimagenten abzulenken. Er befahl mir, durch das Fenster auszureißen. Für einen Augenblick ging im ganzen Haus das Licht aus. Trotz großer Angst sprang ich in die ringsum herrschende Finsternis. Als ich auf dem Boden gelandet war, rannte ich, so schnell ich konnte, durch die Büsche und Beete des Gartens.
    Nachdem die Gestapobeamten in das Haus eingedrungen waren, ging das Licht wieder an. Sie schossen uns nach, aber ich war schon weit genug fort, so daß die Kugeln mich nicht mehr erreichen konnten. Auch dem Vater gelang die Flucht. Meine Mutter jedoch wurde von der Gestapo verhaftet und mußte meinen jüngeren Bruder einem ungewissen Schicksal überlassen.
    Dank der konspirativen Kontakte konnte ich mich etwa vier Monate lang versteckt halten. Ich wechselte meist nach drei bis fünf Tagen den Zufluchtsort. Kurze Zeit blieb ich direkt in Tarnów. Längere Zeit hielt ich mich unter anderem Namen bei einer Schwester meines Vaters in dem kleinen ländlichen Ort Radgoszcz auf. Aber auch dort war ich nicht sicher. Nach einiger Zeit holte mich mein Vater in die Stadt Czȩstochowa. Dort setzte er unter fremdem Namen seine Untergrundtätigkeit fort. Ich wohnte mit ihm zusammen und bekam wiederum einen anderen Namen und neue Papiere. Ich war ein »Illegaler«, ein sich vor der Gestapo versteckender Mensch. Damals stellte ich mir zum ersten Mal die Frage, ob ich mein ganzes weiteres Leben ständig auf der Flucht sein würde und mich verstecken müßte. Ich war mir nicht klar darüber, daß dies erst der Anfang der Kriegswirren war. Um nicht zur Zwangsarbeit ins Reich verschleppt zu werden, besorgte mir mein Vater über seine konspirativen Beziehungen eine Beschäftigung im Lebensmittelgeschäft einer Genossenschaft. Als Verkäufer nahm ich weiterhin von Zeit zu Zeit verschiedene Meldungen und Sendungen der Organisation entgegen, die ich dann an den Vater oder später an bestimmte Mitglieder der Organisation weitergab.
    Die Arbeit im Laden war schwer und erforderte körperliche Kraft. Man mußte Säcke mit Mehl, Grütze
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