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Aus der Hölle zurück

Aus der Hölle zurück

Titel: Aus der Hölle zurück
Autoren: Tadeusz Sobolewicz
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mich an. »Na gut, Jungs. Hauen wir ab! Was sein muß, muß sein.«
    Ich atmete auf vor Erleichterung, doch gleich darauf befiel mich Furcht. Die Erregung über die getroffene Entscheidung ergriff alle. Nur Zbyszek sah sich ruhig in der Scheune um. Auf eine Leiter deutend, die auf den Scheunenboden führte, sagte er: »Da rauf! Schnell!«
    Einer nach dem andern stiegen wir hinauf. In einem Teil des Bodens war Heu aufgestapelt. Plötzlich war alles klar. Wir krochen in das Heu und deckten uns gut zu, damit man uns nicht so leicht entdecken konnte. Mein Herz begann vor Aufregung wild zu pochen, als unten auf deutsch gerufen wurde: »Ist da noch jemand?« Niemand meldete sich. Nach kurzer Zeit vernahmen wir Schreie: »Ah! Hier habt ihr euch versteckt! Raus mit euch, aber dalli! Sonst schlag ich euch zu Brei.« Die Geräusche schienen sich zu entfernen. Aber plötzlich kam jemand die Leiter herauf, schnell und entschlossen. Zwischen den trockenen Heuhalmen hindurch erblickte ich in der Bodenluke erst ein Käppi mit dem Totenkopfabzeichen und dann den Kopf eines SS -Mannes. Instinktiv schmiegte ich mich noch tiefer in das mich einhüllende Heu, als wolle ich restlos darin verschwinden. Ich versuchte, möglichst nicht zu atmen, aber etwas Luft bekam ich doch durch die Nase. Ich wurde steif vor Angst. Einen Augenblick lang kniff ich die Augen zu. O mein Gott, was wird geschehen, wenn …
    Jede Bewegung konnte unser Versteck verraten. Vom Heustaub begann mir die Nase zu jucken. Mit der Linken hielt ich mir die Nase zu, um nicht unwillkürlich zu niesen. Ich hatte den Eindruck, als schlucke der neben mir liegende Beno den Speichel zu laut hinunter. Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse, blieb aber weiter reglos liegen. Urplötzlich brach mir der Schweiß aus, und der ganze Körper fing an zu jucken. Ich durfte mich nicht bewegen, und doch kam es mir so vor, als ob ich bei jedem Atemzug das leichte Rascheln der in Bewegung versetzten Heuhalme hörte. Von unten drang die Stimme eines anderen SS -Mannes herauf: »Hans, ich hab hier zwei im Stroh gefunden. Komm schon! Wir haben keine Zeit mehr!«
    Der SS -Mann, der inzwischen den Boden betreten hatte, blickte nach rechts und links, ergriff eine dicht neben der Bodenluke liegende Heugabel und wog sie in den Händen. Als von unten erneut nach ihm gerufen wurde, warf er sie fort – genau in den Heuhaufen, in dem wir versteckt waren. Die Gabel blieb über unseren Köpfen im Heu stecken. »Ich komm schon! Hier ist keiner zu sehen«, rief er hinunter und stieg die Leiter hinab. Ich war erleichtert. Mein Herz schien sich gleichsam von etwas zu lösen. Ich atmete tief durch. Benek hustete kurz auf und räusperte sich dann. Aufgeregt zischte ich ihn an. Die Stille im Heu hielt noch ein Weilchen an, dann entfernten sich die Stimmen der Kontrollierenden.
    Ganz deutlich vernahmen wir die letzten an die Häftlinge gerichteten Rufe: »Schließt euch denen auf dem Weg an! Schneller, die Amerikaner sind zehn Kilometer hinter uns! Beeilt euch!« – Ganz so, als ob die heranziehenden Amerikaner für die durch den vieltägigen Marsch erschöpften Häftlinge auch nur die geringste Gefahr bedeutet hätten. Das ganze Geschehen hatte nur wenige Minuten gedauert, und doch schien es, als sei die Zeit plötzlich stehengeblieben. Jetzt hatten wir es eilig, in die Freiheit zu kommen. Als die Stille rings um die Scheune eindeutig verriet, daß unsere Evakuierungskolonne abmarschiert war, arbeiteten wir uns nach und nach aus dem Heuhaufen heraus. Wie groß aber war unsere Verblüffung, als in einer anderen Ecke noch zwei Ausreißer, zwei Mithäftlinge, unter dem Heu hervorkrochen. Es waren zwei französische Juden. Aus einer ersten Gefühlsaufwallung heraus warfen wir uns gegenseitig an den Hals und umarmten uns voller Freude. Die Spannung des soeben erst Durchlebten machte allmählich einer Freude und Genugtuung Platz, die niemand von uns zu verbergen suchte.
    Endlich sind wir frei – dachte ich im stillen. Endlich! Entspannte Gesichter und froh leuchtende Augen, daß es nun doch gelungen war, daß der SS -Mann nicht alles durchsucht hatte. Aber Zbyszek war derjenige von uns, der die Sache am nüchternsten betrachtete und unsere Lage am realsten einschätzte. Er unterbrach die herzlichen Umarmungen mit den Worten: »Macht nicht solchen Lärm, verflucht noch mal! Verhaltet euch stiller! Seid ihr denn verrückt geworden? Jungs, das ist erst der Anfang der Flucht. Worüber freut ihr euch denn so, ihr
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