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Aus der Hölle zurück

Aus der Hölle zurück

Titel: Aus der Hölle zurück
Autoren: Tadeusz Sobolewicz
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fort: »Im Falle eines Falles könnt ihr doch wohl bestätigen, daß ich einigermaßen erträglich zu euch war, nicht wahr?« Dann fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu: »Plagge ist heute nacht verschwunden. Versteht ihr? Ihr wißt bestimmt, was ihr jetzt zu tun habt.«
    Das war eindeutig genug. Der SS -Mann wollte uns für sich gewinnen. »Im Falle eines Falles« hieß ganz einfach – wenn uns die Amerikaner erwischen. Na ja, dann war Schluß mit ihnen. Man brauchte sich also nicht zu wundern, daß dieser Kerl jetzt »Freunde« suchte. Zbyszek nahm die Mitteilung des SS -Mannes anscheinend gleichgültig auf und antwortete: »Ja, ja, gut.« Dabei blinzelte er mir zu und wandte sich – zu meiner Verwunderung – der Scheune zu, um sich schlafen zu legen.
    Der Oberscharführer, der zu diesem Zeitpunkt die Funktion des Kolonnenführers ausübte, hatte wahrscheinlich mit einer anderen Reaktion unsererseits gerechnet. Er zuckte die Schulter und kehrte ins Zimmer des Hofbesitzers zurück. Bei der Feldküche war nur Latarus zurückgeblieben, der uns half, frisches Holz im Feuer nachzulegen. Ich sagte ihm, was ich von dem SS -Mann gehört hatte. Die Augen von Latarus, der die Hölle des Ghettos von Łódź mitgemacht hatte, leuchteten auf, aber er äußerte sich erst nach einer guten Weile. »Das ist gut. Das ist sehr gut. Aber uns kann es noch ganz seltsam ergehen. Vielleicht will uns dieser SS -Mann zur Flucht provozieren, um dann alle zu erschießen. Du weißt genau: Zbyszek hat recht. Wir müssen noch etwas warten.«
    Ich wußte, daß man den SS -Leuten nicht trauen durfte. Die Nachricht vom Tod Hitlers und vom Verschwinden Plagges schien alles entschieden zu haben. Aber allein würde ich nicht ausreißen, sagte ich mir. Ich sehnte mich unsagbar nach der Freiheit, aber wenn ich mir vorstellte, wie ich ohne die Aufsicht der SS -Leute und ohne meine Lagergefährten dastehen würde, überwältigten mich die vielfältigsten Zweifel. Sogleich kamen mir wieder nüchterne Überlegungen und kühles Abwägen in den Sinn. Nun gut, ich würde ausreißen. Aber wohin denn eigentlich? Was sollte ich allein anfangen? Kaum hatte ich mich in der letzten Nacht ans Ziel geschleppt. Ringsum wohnten Deutsche. Würden sie einem polnischen KZ -Häftling helfen? Ihn verstecken? Würden sie ihn nicht verraten und aus lauter Angst bei der SS anzeigen? Würden meine Kräfte ausreichen, um mich schnell genug von der Kolonne zu entfernen? Ich wurde von immer mehr Fragen ergriffen, die ich nicht beantworten konnte. Wahrscheinlich hatte Zbyszek recht. Er war schließlich schon mal ausgerissen.
    Ringsum deutsche Siedlungen und Dörfer – überlegte ich weiter. Doch nicht alle Deutschen waren SS -Leute. Es mußte unter ihnen auch anständige Menschen geben. Aus diesen Gedanken riß mich plötzlich der Zuruf eines Postens heraus, der mit dem Motorrad auf den Hof unseres Rastortes einbog. »Die Amerikaner sind nur noch zehn bis fünfzehn Kilometer von uns weg. Ihr müßt sofort weiter. Los, aber schnell!« Aus dem Hause des Besitzers kamen Plagges Stellvertreter und andere Angehörige der Wachmannschaft herausgelaufen. Eilig begannen sie, die Häftlinge zusammenzurufen und die Posten einzuziehen. Ihre Augen verrieten panische Angst und Schrecken. »Schneller, schneller! Antreten! Und weiter geht’s! Aber rasch!« überschrie einer den andern. Es gab keine Prügel, sie trieben uns nur mit Zurufen an. Wir sollten uns in Fünfer-Reihen aufstellen. Diese wurden dann sofort auf den Weg geschickt. Aus den Gebäuden des Gehöfts, aus der Scheune und den Ställen kamen allmählich weitere Grüppchen von Häftlingen heraus und reihten sich in die Kolonne ein.
    Nun wartete ich nicht mehr länger. Der »Tee« im Kessel, den wir vor dem Abmarsch sowieso wegschütten mußten, hörte auf, mich zu interessieren. »Benek«, wandte ich mich an Latarus, »komm mit zu Zbyszek und Henryk! Wir hauen ab. Wir haben nicht mehr sonderlich viel Kraft. Wahrscheinlich lohnt es sich nicht, noch länger zu warten. Was meinst du?« »Na gut«, stimmte Latarus zu.
    Wir gingen auf die sich formierende Kolonne zu und taten so, als ob wir gehorsam dem Befehl nachkämen. Wir schlängelten uns geschickt durch die Reihen, und in der Nähe der Scheune verschwanden wir blitzschnell in einer der Scheunentüren. Unsere Kameraden standen gerade auf. Ich berichtete ihnen, daß die SS in Panik geraten sei.
    »Na, was ist, Zbyszek? Hauen wir ab?« fragte ich. Der blickte erst Henryk, dann
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