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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs
Autoren: Henner Kotte
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befreit. Er hatte mit seiner offiziellen Demission auch den Antrag auf vorzeitigen Ruhestand eingereicht. Hackenberger hatte nicht diskutiert, sondern den Antrag schweigend zur Kenntnis genommen. Wahrscheinlich hatte er bereits die Fäden gezogen, wer seinen Posten besetzen sollte. Kohlund hatte er in die engere Wahl gezogen, mutmaßte Miersch. Doch die behördlichen Leitungen würden seine Abdankung widerspruchslos genehmigen. Was nützte ein Direktor, der seinen Job nicht mehr ausüben wollte? Ja, er präferierte Kohlund als seinen Nachfolger. Der aber zierte sich wie ein sprödes Mädchen. Dabei wirkte er auf Sitzungen und Konferenzen, selbst vor der Presse stets so taff. Aber was interessierten ihn die Probleme, mit denen Hackenberger oder der Stadtdezernent sich plagen mussten. Er war draußen und er würde es bleiben. Mörder, Monster, Menschenschlächter würde ihm niemand mehr hinterherschreien.
    An einem Kiosk kaufte sich Miersch einen Wanderroutenführer der Gegend. Vielleicht konnte er Queißer überzeugen, mit ihm morgen auf Tour zu gehen. Er würde heute den nächsten Tag planen oder er würde Queißer Vorschläge machen lassen, vielleicht aber lagen sie beide nach durchzechter Nacht auch den ganzen Tag im Bett, und Anne würde das Mittagessen persönlich servieren. Er musste bei dieser Vorstellung lächeln.
    Die Häuser der Kleinstadt waren meist restauriert und hergerichtet, wie sie selbst direkt nach dem Bau nie ausgesehen haben konnten. Zu schön fast war der Anblick dieser Bürger- und Bauernhäuser. Aber Machern setzte auch auf seine touristische  Erschließung und präsentierte sich allseits in schmeichelnden Worten. Das machte jeder, der verkaufen wollte, selbst er als Direktor hatte es getan. Vielleicht setzte er sich doch noch in ein Café und trank einen Mokka. Er wollte nicht den ganzen Tag in der Gaststube Zu den alten Eichen sitzen.
    »Danke.«
    Ihre Stimme, wirklich, es war ihre Stimme. Miersch sah sich um. Anne lief hinter ihm, sie trug schwere Taschen in beiden Händen. Er sah auf Milch, Äpfel und Butter in Packpapier. Sie kaufte wohl nah auf einem Hof direkt beim Bauern.
    »Wofür danken Sie mir?« Miersch wusste es genau, aber er wollte Zeit schinden.
    »Dass Sie uns die Augen geöffnet haben. Sie haben für uns die Wahrheit herausgefunden. Selbst hätten wir das so nicht tun können.« Anne stellte die Taschen vor sich hin auf den Fußweg.
    Miersch würde sie ihr beim Weitergehen tragen. »Ihre Mutter glaubt nicht, was ich berichtet habe.«
    »Ach, meine Mutter … Ich weiß nicht, ob sie überhaupt verstanden hat, worum es geht. Seit Jahren wird ihr Geist immer schwächer. Sie erkennt keine Zusammenhänge, verwechselt die Zeiten … manchmal denke ich, sie lebt in einem Film, den sie selbst dreht.«
    »Alt werden ist kein Segen, sagte meine Oma vom Dorf. Die wurde fast hundert.«
    »Ob ich so lang leben will, weiß ich noch nicht.« Anne lächelte und griff nach den Taschen.
    Miersch überlegte kurz, ob er sie zu einem Kaffee oder Wein einladen sollte. Aber Wirtinnen bevorzugten die eigene Küche. Nahm er zumindest an. »Gestatten Sie?«
    Er fasste den Henkel der Tasche und berührte dabei ihre Hand. Sie entzog sie ihm nicht. Vielleicht meinte Anne, sie sollten die Tasche zusammen tragen.
    »Ich übernehme.«
    »Sehr freundlich, aber das müssen Sie nicht.«
    »Ich möchte es aber.«
    Anne lächelte und blickte zum Himmel. Miersch nahm die zweite Tasche in die linke Hand. Dann liefen sie wie ein älteres Paar langsam nach Hause.
    »Seltsames Gefühl, wenn man seine Familiengeschichte umschreiben muss. Bislang war mein Bruder für mich der Held gewesen, jetzt ist er das Monster. Es fällt mir nicht leicht, das zu akzeptieren.«
    »Niemand drängt Sie.«
    »Das ist keine Entscheidung, die ich selbst treffen kann. Es sind die Fakten.«
    »Trotzdem bleibt Sebastian Ihr Bruder.«
    »Ja.«
    Sie liefen langsam und wortlos durch die dörflichen Straßen. Miersch konnte die Gesichter hinter den Gardinen nicht sehen, wusste aber, dass sie beobachtet wurden. Am Gasthaus führte ihn Anne zum Hintereingang über den Hof. Da stand die Scheune, in der die Leichen gefunden worden waren. Jetzt endlich hatte die Geschichte ihr Ende gefunden. Ohne Miersch wäre sie Geheimnis geblieben. Es war ihm, als hätte die Ungewissheit auch auf ihm gelastet. Er fühlte sich frei und trauerte der Vergangenheit nicht nach.
    In den Privaträumen roch es nach Schuhcreme und frischem Kuchen. Auch hier im hinteren
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