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Geliebte Kurtisane

Geliebte Kurtisane

Titel: Geliebte Kurtisane
Autoren: Courtney Milan
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1. KAPITEL
    London, Juni 1841
    S ir Mark Turner hatte so gar nichts Jungfräuliches an sich.
    Was daran liegen mochte, dachte Jessica, dass er von Dutzenden Frauen umringt war.
    Durch das dicke Glas des Wirtshausfensters ließ sich das Geschehen nur unzureichend verfolgen. Doch selbst draußen, im Dreck der Straße stehend, würde sie kaum mehr gesehen haben. Binnen einer Minute war er belagert gewesen. Kaum war er aus der Tür getreten, war eine Kutsche jäh zum Stillstand gekommen. Eine übereifrige Gouvernante hatte ihre beiden Schützlinge herausgescheucht. Zwei ältere Damen hatten ihn gleich darauf erblickt und wären in ihrer Hast beinahe vor einen Lastkarren gelaufen.
    Sir Mark war umzingelt – von Frauen vor allem, aber nicht nur. Gelegentlich fanden auch Männer sich ein, am Hut diese alberne blaue Kokarde. Jessica erhaschte nur hin und wieder einen Blick auf seinen grauen Rock oder sah kurz sein goldblondes Haar inmitten der Meute aufschimmern. Dennoch meinte sie, sein Gesicht, sein Lächeln vor sich zu sehen, das sich in allen Zeitungen reproduziert fand: ein selbstbewusstes, gewinnendes Lächeln, als sei Sir Mark sich wohl bewusst, der begehrteste Junggeselle Londons zu sein.
    Jessica verspürte nicht den Wunsch, sich der Schar seiner Bewunderer anzuschließen. Zum einen hatte sie kein Autografenbuch, das sie ihm unter die Nase hätte halten können, zum anderen wäre ihresgleichen ohnehin nicht willkommen.
    Sir Mark verstand es, mit dem Ansturm umzugehen. Weder sonnte er sich in der Aufmerksamkeit, noch scheute er sie. Er hielt die Menge geschickt in Schach – signierte Bücher, schüttelte Hände –, derweil er mit unerschütterlicher Ruhe auf die Straßenecke zuhielt, an der seine Kutsche bereitstand.
    Dachte Jessica an männliche Jungfrauen, stellte sie sich von Pickeln geplagte Burschen vor oder Buben, die dicke Brillengläser trugen und stotterten, nicht gestandene Mannsbilder – glatt rasiert, markantes Gesicht –, deren Lächeln selbst Licht in eine düstere, verregnete Straße brachte. Was einmal mehr bewies, wie wenig Jessica von männlichen Jungfrauen wusste.
    Kein Wunder eigentlich, war ihr während all ihrer Jahre in London noch keine des Weges gekommen.
    Neben ihr schnaubte George Weston verächtlich. „Schau ihn dir an, den eitlen Gecken. Führt sich auf, als gehöre ihm die Welt.“
    Jessica strich über das Fensterglas. Das war ein wenig übertrieben, aber tatsächlich gehörte Sir Marks Bruder, seit Kurzem Duke of Parford, die Hälfte der Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Würde sie Weston darüber aufklären, wäre er verärgert, weshalb sie einen Augenblick erwog, es zu tun.
    Doch nein, Sir Marks Anblick gab genug Anlass zu Verdruss. An manchen Tagen mochte es den Anschein haben, als drucke jede Londoner Gazette ein Extrablatt, sowie Sir Mark nur nieste. Wie oft war sie schon an Zeitungsjungen vorbeigegangen, welche die jüngsten Skandalblätter schwenkten, auf denen in riesigen Lettern die Frage prangte: Sir Mark dem Tode nah?
    „Er scheint zu glauben“, fuhr Weston fort, „nur weil sein Bruder jetzt die Herzogswürde hat“, hier spuckte er aus, „und die Königin ihm einen kleinen Gefallen erwiesen hat, kann er sich alles herausnehmen und andere von ihrem angestammten Platz verdrängen. Wusstest du, dass sie ihn in die Kommission berufen wollen?“
    Nein, dachte Jessica, aber sie behielt es für sich. Hier bedurfte es keiner weiteren Irritation. Er würde sich auch ohne ihr Zutun in Rage reden. Zudem brauchte sie ihn noch.
    „Nie hat er sich um etwas bemühen müssen“, grollte Weston weiter. „Alles fällt ihm in den Schoß. Weshalb mühe ich mich eigentlich ab, versuche mich einzubringen? Lefevres Posten war mir so gut wie sicher. Er war mir versprochen . Aber nein, jetzt geht er an Turner.“
    Sir Mark war bei seiner Kutsche angelangt und lächelte noch ein letztes Mal in die Runde. Bis in den Schankraum drang die lautstarke Enttäuschung seiner Bewunderer, als ein Lakai den Schlag hinter ihm schloss.
    „Ich kann mir nicht erklären, wie ausgerechnet er zum Liebling der Londoner Gesellschaft avancieren konnte“, machte Weston seinem Ärger Luft. „Nicht seiner Erfahrung wegen will man ihn berufen, sondern weil man die Gunst der Massen gewinnen will! Es ist mir schleierhaft, was alle an ihm finden. Er weiß nicht einmal die einfachsten Freuden eines Gentleman zu schätzen.“
    Womit Weston selbstredend das Trinken und die Hurerei
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