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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs
Autoren: Henner Kotte
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nicht.«
    »Schatz, weißt du, wo ich bin?«
    »Nicht im Büro?«
    »Nein. Ich stehe im Tunnel der U-Bahn, Helm aufm Kopf, Mikro in der Hand. Mehrseitige Reportage. Vielleicht wird das mein Durchbruch!«
    »Als Gerichtsreporter?«
    »Nein, für ein überregionales Magazin. Mit Fotograf und Terminen von Tiefensee bis Bauleitung. Große Nummer, sage ich dir. Sensationell!«
    Joseph konnte ihre Enttäuschung nicht sehen, doch ihre Stimme war kühl. »Wann bist du frei?«
    »Du, ich weiß nicht, das kann länger dauern. Drück mir die Daumen. Ich muss jetzt Schluss machen, sei mir nicht böse.«
    Das Gespräch war beendet. Beetz stand sinnlos im Foyer des Redaktionshauses. Der Sicherheitsbeamte lächelte dümmlich. Sie lief mit energischen Schritten zum Ausgang. Das Flower-Power war um die Ecke. Geöffnet bis open end. Sie hatte Lust, sich zu besaufen.

35
    Miersch genoss die letzten Sonnenstrahlen. Am kleinen Teich fütterten eine dünne Mutti und ihr dickes Kind die Schwäne. Majestätisch reckten die ihre Hälse, als wäre es eine Gnade von ihnen, die Brotstücke auch zu verschlingen. Das dicke Kind klatschte in die Hände und lachte glücklich.
    Miersch hatte Gunda die Akte überlassen mit dem Hinweis auf Diskretion und, sie solle sie schnell lesen. Er rechnete damit, dass die Popps die Akte heimlich kopierten. Es war ihm egal, auch wenn die Einsicht im Archiv selbst für Betroffene schwierig gewesen wäre. Seiner Meinung nach hatten Anne und Gunda und Rosel das Recht, zu erfahren, was mit Hans-Joachim und Sebastian geschehen war. Sicher, Rosel wollte die Tatsachen noch immer nicht akzeptieren. Nichts wissen Sie! Nichts!
    Gunda hatte nicht an seinen Worten gezweifelt. Sie akzeptierte die Täterschaft von Onkel und Großvater. Auch Anne würde sich der Wahrheit stellen, die Miersch herausgefunden hatte. Er bedauerte, jetzt keinen Grund mehr zu haben, im Gasthaus Zu den alten Eichen zu nächtigen. Es wäre ihm lieber gewesen, noch einen Vorwand zu haben. Auch wenn Anne von seiner Zuneigung nichts wissen wollte oder nichts wusste, er wäre gern noch ein bisschen um sie und hier geblieben. Aber auch ohne triftigen Grund würde er seinen Aufenthalt einfach noch um ein paar Tage verlängern. Er hatte Hartmut Queißer gefragt, ob er nicht auch einmal raus aus der Stadt wollte. Er würde ihm das Zimmer in Machern auch gern bezahlen. Miersch hatte Gefallen am alten Kripochef Leipzigs gefunden. Und vielleicht konnte Queißer ihm die Volkspolizei und die DDR nahebringen, zumindest verständlicher machen, so dass er die Schwarte der Geschichte der deutschen Volkspolizei entsorgen könnte, denn gebracht hatte sie ihm rein gar nichts.
    Das dicke Kind hatte sich zu nah ans Wasser und an die Schwäne gewagt. Die Mutti zerrte es mit wilden Schreien zurück. Die Vögel schwammen ans andere Ufer. Die Frau hatte ihre Hand erhoben und drohte. Das Kind fing an zu heulen. Wind bewegte die Blätter der Bäume. Pappelflusen wehten herüber. Miersch war sich unsicher, ob es vielleicht doch eine Tante oder die Schwester der Kleinen war, die mit ihm hier am Teich stand. Die Frau benahm sich erstaunlich unreif im Umgang mit ihrem Kind.
    Er hatte bei Gunda das Zimmer für Queißer gebucht. Anne ließ sich nicht blicken, stand auch nicht mehr am Herd, als er sie dort suchte. Nur Rosel hörte er ständig. Die Alte lief durchs Haus, als würde sie ihre Wahrheit in einer der Ecken dort suchen. Miersch vertraute darauf, dass Gunda sie schließlich von den Tatsachen überzeugen konnte. Auch Rosel würde irgendwann begreifen, begreifen müssen. Hoffentlich ließ ihre Demenz das noch zu.
    Miersch lief den Weg langsam zurück und ließ sich an einem Imbiss einen Kaffee in einen Plastenapf füllen. Das Café gegenüber schien ihm zu nobel, und er würde wie auf einem Präsentierteller am Fenster sitzen. Er wollte nicht wie ein Tourist wirken und fragte sich, ob das Heimatgefühl war.
    Der Kaffee schmeckte wie ein dritter Aufguss. Den Rest der Brühe schüttete Miersch an den Stamm einer Linde. Er überlegte, ob er Anne Blumen mitbringen sollte. Aber er wollte nicht aufdringlich erscheinen und konnte sich nicht vorstellen, dass er ihr erst seine Sympathie gestehen musste. Ein bisschen kam er sich vor wie ein Pennäler. Da hatte er anonyme Briefe geschrieben. Seine angebetete Renate hatte ihn sofort als Verfasser erkannt, und alle Weiber an der Schule hatten über ihn gelacht. Monate hatte dieser Spießrutenlauf gedauert.
    Jetzt fühlte sich Miersch ehrlich
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