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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
Autoren: Ameneh Bahrami
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drehen könnten. Zunächst hieß es, alle Buntstifte in winzige Stücke zu zerbröseln, und fertig war unser Tabak. Dann schnitten wir das mitgebrachte Papier zurecht, entsprechend der kleinen Vorlage, die wir unserem Großvater heimlich stibitzt hatten. Stolz wollten wir nun unsere erste Selbstgedrehte rauchen, rissen ein Streichholz an und ... schauten in die entsetzten Augen unseres Onkels, der – ausgerechnet in diesem Moment – sein Schlafzimmerfenster, dem Schuppen direkt gegenüber, weit aufriss, weil er lüften wollte.
    »Die Kinder zünden den Schuppen an!«, schrie der Onkel und stürzte nach draußen. Ich verkroch mich, so rasch ich eben konnte, unter einer Waschwanne und hörte auch schon, wie Mohammad die erste Standpauke abbekam: »Willst du mich ins Unglück stürzen oder dich selbst?«, schrie mein Onkel ihn an, während er ihm das noch brennende Streichholz aus der Hand schlug.
    »Was soll ich deinen Großeltern sagen, wenn ihr hier verbrennt? Und wo ist deine Schwester überhaupt?«
    Ich hörte ihn schimpfen, kroch unter der Wanne hervor und lief um mein Leben.
    Auch unser Großvater war inzwischen aus dem Haus gekommen. Ich wich ihm aus, lief auf die Straße – Opa mir dicht auf den Fersen. Als er einsehen musste, dass ich ihm entwischt war, rief er die Nachbarn zu Hilfe. »Ibrahim! Wahid! Haltet Ameneh auf, damit ich sie übers Knie legen kann! Du hast mir fast mein Haus angezündet – du Tunichtgut!«
    Ich lief und lief bis zu der verfallenen Hütte, in die ich bis dahin nie einen Fuß gesetzt hatte, aus Angst vor bösen Geistern oder gar Mördern. Doch jetzt war sie mein einziger Ausweg. Jetzt musste ich hier Zuflucht suchen, noch dazu barfuß, weil ich meine Schuhe unterwegs verloren hatte.
    Ich muss gestehen: Ein wenig stolz war ich schon, den Erwachsenen entronnen zu sein, wo ich schließlich sonst alle Wettläufe verlor. Doch da kamen die Männer auch schon.
    »Hier wird sie sich kaum versteckt haben. In dieser Hütte würde ihr das Herz in die Hose rutschen vor Angst«, hörte ich meinen Großvater sagen.
    »Und selbst wenn – lange hält sies nicht aus. Sie soll nur heimkommen, dann wird sie schon sehen, was ihr blüht!«
    Mein Großvater behielt recht. Lange hielt es mich nicht in dieser unheimlichen Hütte. Als ich wenig später nach Hause geschlichen kam, saß mein Großvater vor der Tür und schien mich schon zu erwarten:
    »Na, da bist du ja endlich, du Brandstifterin. Geh schon rein ins Haus – ich tu dir nichts.«
    »Schwörst du es bei deinem Leben?«
    »Bei meinem Leben.«
    Mir war die Sache nicht geheuer. Ich wollte sichergehen: »Schwörst du es auch bei Omas Leben?«
    »Auch bei Omas Leben.«
    »Und bei meinem?«
    Nun brachte mein Handel uns beide zum Lachen. Mein Großvater versicherte mir, dass ich ungeschoren davonkäme, weil er meinem Bruder schon gehörig das Fell gegerbt hatte. Ein wenig misstrauisch noch, huschte ich an Opa vorbei ins Haus und traf auf meinen armen Bruder, der tränenüberströmt seine Wut gleich an mir auslassen wollte: »Du hattest die Idee, und ich hab die Prügel dafür bezogen. Das wirst du mir büßen!«
    Eine bissige Bemerkung konnte ich mir dann doch nicht verkneifen. »Wie war das noch? Du bist doch der Mann hier. Männer kriegen eben Prügel. Außerdem hättest du ja abhauen können, wie ich.«
    Er zuckte mit den Achseln und meinte kleinlaut: »Das wollte ich ja‚ aber sie haben mich gleich geschnappt.«
    Und dann sagte er einen Satz, der mir bis heute in den Ohren klingt: »Es ist einfach ungerecht, dass du als Mädchen immer davonkommst!« Hätte er doch nur recht behalten, mein kleiner, beleidigter Bruder …

4. Einsicht – Sicherer in Jungenkleidern
    Als Mädchen trug ich immer Jungenkleider. Mein Vater wollte, dass ich Hosen anzog, um wie ein Kerl auszusehen. »So bist du sicherer«, war seine immer gleichlautende Begründung. Ich trug also weder Kleider noch Röcke, sondern stets Sachen, wie sie auch mein Bruder anhatte. Eines Tages aber setzte ich meinen Willen durch – es war zu Nowruz, dem muslimischen Neujahrstag, einem einundzwanzigsten März. Ich, damals noch im Vorschulalter, wurde herausgeputzt, trug ein Kleid, feine Schuhe und eine farblich passende Haarspange, die meine dichte Mähne im Zaum halten sollte. Richtig hübsch sah ich aus, pummelig zwar, doch ich war sehr zufrieden mit meinem Aussehen. Wir besuchten entfernte Verwandte meines Vaters. Und während die Erwachsenen oben im Wohnzimmer plauderten, sollten die
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