Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
Autoren: Ameneh Bahrami
Vom Netzwerk:
haben.
    Am Ende habe ich mein Antlitz eingebüßt – aber mein Gesicht habe ich nach all dem, das mir widerfahren ist, nicht verloren. Ich danke Gott, der mir diese Erkenntnis eröffnet und bisher jeden Weg, den ich gehen wollte, geebnet hat. Mit seiner Hilfe bin ich bis hierher gekommen, und in der Hoffnung auf ihn mache ich den nächsten Schritt: Ich beginne nun meine Geschichte.

2. Innenansichten – Wiederkehrende Schreckensvisionen
    Manchmal kann ich wieder sehen. Und dann sehe ich ihn. Ihn, dessen Namen ich nicht aussprechen will. Ihn, der versucht hat, mein Leben zu zerstören. Ihn sehe ich fast jede Nacht, wenn ich schlafe. Und am Tage, wenn ich mich in meinen Träumen verliere. Er liegt da. Auf einer Bahre festgeschnallt. Er schläft, Schlingen um seine beiden Fußgelenke, seine Arme festgezurrt. Er liegt auf dem Rücken. Seine Augen sind geschlossen. Wenn er so daliegt – wie aufgebahrt –, sieht er friedfertig aus. Doch in ihm lauert der Teufel. Das Böse ist in ihm gefangen. Würde er jetzt seine Augen öffnen, könnte ich das Böse in ihm sehen. So wie damals, im Herbst 2004. Als ich mich umdrehte, weil ich etwas ahnte. Weil mich eine innere Stimme zu warnen schien. Ich höre heute noch die Schritte hinter mir. Madschid, dieser junge Kerl, der einfach nicht begreifen wollte, dass Liebe sich nicht erzwingen lässt. Ich konnte seine Anwesenheit spüren. Ich wusste, ohne ihn zu sehen, dass er mir wieder nachstellte.
    Was mochte er vorhaben? Würde er mich wieder anbetteln? Oder würde er erneut Forderungen stellen? Mich, meinen Körper, meine Liebe zu ihm einfordern? Eine Liebe, die nur in seinem Kopf existiert. Eine Liebe, die ich ihm nicht bieten kann. Niemals.
    Würde ich ihm das zum wiederholten Male erklären müssen? Würde ich ihm erneut sagen müssen, dass ich ihn nicht liebe? Ihn nicht kenne, ihn nicht kennenlernen möchte? Ihm klarmachen, dass er nicht auf mich warten, nicht auf meine Liebe hoffen darf? Wollte er denn nicht begreifen? Was, dachte ich verzweifelt, musste ich denn noch tun, damit dieser Mann endlich von mir ablässt?
    Als ich mich damals umdrehte, sah ich seine Augen. Sie waren dunkel, ohne jedes Gefühl. Und entschlossen. Ich sah das Böse in seinen Augen – den Teufel. Und dann sah ich seine Hände. Sie hielten etwas umfasst. Ein rotes Gefäß, wie eine kleine Karaffe. Madschid starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Was war das in seinem Blick? Hass? Verzweiflung? Enttäuschung? Was ich da in ihm sah, war kalt. Vollkommen kalt.
    Und dann wurde es heiß. Glühend heiß. In meinem Gesicht, in meinen Augen – in meiner Seele.
    Jetzt kann ich ihn wieder sehen. Denn mein inneres Auge, meine Gedankenwelt, meine Phantasie konnte er mir nicht rauben. Ich sehe ihn daliegen. Nur er und ich. Er kann sich nicht wehren – er darf sich nicht wehren. Er gehört jetzt ganz alleine mir. Seine Augen gehören mir…
    Sie haben ihn zum Schlafen gebracht. Mit einer Spritze haben sie ihm die Augen geschlossen, die er durch meine Hand nie wieder öffnen wird. Sie haben ihn unter Vollnarkose gesetzt, damit er den Schmerz nicht spüren muss, den ich ertragen musste, als er mir die beißende Säure ins Gesicht schleuderte. Aber er wird den Schmerz noch spüren. Er wird ihn danach überfallen. Den Schmerz der Dunkelheit – der ewigen Dunkelheit.
    Ich ertaste seine Augen und öffne sie. Mit Daumen und Zeigefinger meiner linken Hand ziehe ich seine Lider auseinander. Ich sehe im Geiste den dunklen Punkt auf dem weißen Rund. Meine rechte Hand nähert sich seinem Auge. Die Pipette ist voll. Mit Säure. Ich muss sie ihm ins Auge tropfen. Ich muss dieses Urteil vollstrecken. Für mich und alle Frauen, die gequält, geschlagen und zerstört werden, muss ich es tun. Hier im Iran – und überall auf der Welt. Dieser Richterspruch, den ich nach einem langen, harten Kampf erwirkt habe, steht für Gerechtigkeit. Davon zumindest bin ich überzeugt – meistens …
    Es gibt Momente, da schreit Madschid. Er strampelt wie besessen, zerrt an den Gurten, die ihn auf der Liege festschnallen. Sein Körper bebt, sein Herz rast, seine Lungen ringen nach Luft. Sein Kopf schlägt wie wild von einer Seite auf die andere. Meistens jedoch rührt er sich nicht. Dann spürt er das zerstörerische Werk der Säure nicht. Er schläft und bemerkt nicht, wie diese wenigen Tropfen seine Augen auffressen. Das Licht in seinem Leben auslöschen – so, wie er es mit mir getan hat. Es ist nichts zu hören, außer diesem leisen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher