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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
Autoren: Ameneh Bahrami
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Vorstellung stärkt mich.
    Niemand kann mir abnehmen, was ich tun werde, niemand soll es mir abnehmen müssen. Die Zeitungen schrieben: »Ameneh Bahrami will sich rächen.« Aber es geht nicht um Rache. Es geht um all die Frauen und Mädchen weltweit, die mit Säure verätzt oder mit kochendem Wasser verbrüht werden, ohne dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Das will ich mit meinem Urteil verhindern. Zumindest glaube ich, dass ich mit meiner Entscheidung etwas bewegen kann, auch wenn mich immer wieder Zweifel überkommen.
    Ich muss mit diesem Urteil fertig werden, und ich muss mit der bevorstehenden Vollstreckung leben können. Eine Antwort auf diese bohrenden Fragen und Zweifel habe ich nicht. Ich weiß nicht, wie ich damit zurechtkommen werde, einen Menschen geblendet zu haben. Aber ich weiß, wie es sich anfühlt, ein Glasauge zu berühren, um Tropfen daraufzuträufeln, damit sich das künstlich hinoperierte Lid schmerzfrei öffnen und schließen lässt.
    Warum sollte ich versagen? So, wie ich meine Augen ertastet habe, werde ich seine erspüren und ihm die Säure hineinträufeln. Sollen doch alle sagen, ich sei eine Henkerin – eine Barbarin. Keiner von denen, die über mich richten, hat das durchgemacht, was ich erleiden musste. Keiner weiß, wie es sich anfühlt, wenn man verbrennt – innerlich und äußerlich. Keiner, der sich hier möglicherweise ein Urteil gebildet hat, musste sich von Madschid und seiner Familie vor Gericht demütigen lassen.
    Oft genug fühle ich mich ganz und gar zerrissen. Der Augenblick, in dem ich das Urteil vollstrecken werde, wird ein schwerer sein. Aber ich denke, ich finde auf diesem Weg meine Ruhe wieder, die ich seit jenem Abend, an dem er mich hinterrücks überfallen hatte, verloren habe. Und alle Menschen, die wie Madschid Mowahedi ein Herz aus Stein haben, werden in diesem Moment jämmerlich zittern vor Angst. Sie werden sich künftig überlegen, ob man einen Menschen ungefragt besitzen und ungestraft misshandeln darf.
    Die Lösung liegt auch nicht darin, dass unser jetziger Präsident Ahmadinedschad jungen Mädchen rät, noch vor dem Schulabschluss zu heiraten, weil Probleme meist erst danach beginnen. Was würde eine frühe Heirat ändern? Dass junge Frauen nicht reif und gebildet genug werden können, um einen eigenen Willen zu entwickeln? Nicht mündige Frauen sind dafür verantwortlich, was manche Männer mit ihnen anstellen, sondern die Täter sind es, die sich einem modernen, aufgeklärten Denken verschließen und verweigern.
    Was ist das »Nein« einer Frau in einer Gesellschaft wert, in der schon bei kleinen Kindern größte Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen gemacht werden und das Leben einer Frau nur halb so viel wert ist wie das eines Mannes? In manch einer Familie werden Jungs bevorzugt und von Kindesbeinen an verhätschelt. Schon die Kleinsten lernen, dass sie wichtiger sind als ihre Schwestern. Dass sie alles bekommen, was sie sich wünschen, während die Mädchen häufig schon sehr früh auf sich alleine gestellt sind. Sie erfahren schon in frühester Kindheit, dass ihre Mütter nicht die gleichen Rechte wie ihre Väter haben und auf Gedeih und Verderb von ihren Ehemännern abhängig sind. Dieses Ungleichgewicht prägt schon sehr früh das Frauenbild mancher jungen Iraner. Am Ende werden viele Eltern ihrer Jungs nicht mehr Herr, weil die kleinen Paschas nicht mehr zu bändigen sind.
    Nach allem, was ich heute weiß, bin ich das Opfer solch eines kleinen Tyrannen geworden. Der Gefahr, der ich mich mit meiner ablehnenden Haltung ausgesetzt habe, war ich mir nicht bewusst, zumal es in meinem Leben auch andere Männer gab, die damit umgehen konnten, dass ich ihre Gefühle für mich nicht erwiderte.
    Meine Freundinnen und ich ahnten zwar, dass wir eines Tages an einen Mann geraten könnten, der sich nicht mit ein paar freundlichen Worten zufriedengeben würde. Aber keine von uns dachte jemals daran, dass sie eines Tages ihren freien Willen möglicherweise mit dem Leben oder der Gesundheit bezahlen müsste. Zumal wir nicht zu jenen Frauen zählten, die auf Flirt oder Anmache aus waren.
    Dieser junge Mann, der mein Leben verändert, ja auch zerstört hat, ist ein klassisches Produkt einer Gesellschaft, die auf massive Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern baut. Und er ist ein Mann, der – wie er es in den letzten Jahren schon bewiesen hat – wohl nicht mehr zur Vernunft kommen wird.
    Von seiner Zelle aus hat Madschid seinen
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