Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
Autoren: Ameneh Bahrami
Vom Netzwerk:
da waren auch ganz andere Zweifel. Am Ende würde Madschid denken, ich liebte ihn doch, falls ich ihm verzeihen würde. Angeblich verlangte er noch immer von seinen Eltern, endlich um meine Hand anzuhalten. Meine Geschichte konnte einfach kein glückliches Ende bekommen. Meine Geschichte war kein Märchen, kein Traum. Meine Realität musste allein ich durchstehen, und auch mit meiner Entscheidung stand ich am Ende doch ganz allein. In schweren Momenten überkam mich immer die Sehnsucht – nach der Ameneh, die mir entglitten war.
    Wenn der Schmerz und die Sehnsucht besonders stark waren, schrieb ich ihr in meinen Gedanken Briefe: »Salam, Ameneh! Wie geht es dir? Weißt du, wie oft ich an dich denke? Wie sehr ich dich vermisse? Seit fast vier Jahren lebe ich nun schon ohne dich. Ob du überhaupt weißt, wie es mir ergangen ist? Letzte Nacht hab ich mal wieder daran gedacht, wie du mich verlassen hast, Ameneh. Es ging so schrecklich schnell, in diesem Park, unter der Brücke. Ein Säurefeuer, und du warst fort … Mir blieb gar keine Zeit, mich von dir zu verabschieden. Vor fast vier Jahren habe ich dich zum letzten Mal gesehen, Ameneh. Seitdem sehe ich nur noch schwarz. Das Leben ist anstrengend ohne dich, so mühevoll, weißt du. Jeder redet über mich, was er will. Jeder glaubt, er kann mit mir umspringen wie mit einem Stück Vieh. Außer ganz wenigen anderen Menschen in meinem Leben glaubt mir niemand. Als du noch da warst, war das ganz anders.
    Weißt du noch, was wir alles gemeinsam erlebt haben? Wie gern ich dich im Spiegel sah! Dass ich dich nie altern sehen wollte! Wo bist du, Ameneh? Warum antwortest du mir nicht? Die Welt lacht mich nicht mehr an, seit du weg bist. Seit du weg bist, ist keine Schönheit mehr in meiner Welt. Erinnerst du dich an unsere Studentenzeit? Wie oft wir Grund hatten zu lachen, trotz aller Schufterei! Alles vorbei, die Zeit ist vorbei. Wie verliebt ich in dich war, Ameneh, wie gern ich dich hatte. Nie hätte ich zugelassen, dass dir jemand auch nur ein Haar krümmt, Ameneh. Immer war ich bemüht, dir nur das Beste zu geben, hübsche Kleider, gesundes Essen, Zukunftsaussichten … Wie konntest du nicht begreifen, was du mir bedeutet hast? Ahnst du überhaupt, was ich durchlitten habe ohne dich? Wie schutzlos ich mich oft fühle ohne dich? Nie im Traum hätte ich gedacht, dass ich eines Tages so deprimiert, so zerbrechlich sein könnte wie jetzt … Komm doch her, sieh dir an, was geblieben ist von mir. Nein, tot bin ich nicht, aber oft genug wäre ich es am liebsten. Und die bitteren Tränen, die ich jetzt vergieße, helfen nicht weiter. Sie ändern nichts, sie zaubern dich nicht hierher.
    Weißt du noch, in der Schule damals, in der ersten Klasse, als der Lehrer dich aufrief, jeden Morgen: ›Ameneh Bahraminava!‹ Da war sonnenklar: Ein Mensch, der einen Namen hatte, würde aufwachsen, um diesem Namen Ehre zu machen. Und jetzt? Jetzt denke ich an die Kleider, die ich an jenem Katastrophentag trug, an die Kleider, die Mama noch heute aufbewahrt. Die ich auch nach fast vier Jahren nur mit Handschuhen anfassen kann, weil sie noch immer voller Säure sind. Sie rochen noch nach dir, Ameneh, und nach der schrecklichen Säure ... Weißt du noch, die schöne Tasche, die wir mit Ashraf zusammen gekauft hatten! Damals, unter der Brücke im Park, wusste ich: Du kehrst nicht zu mir zurück. Warum hat Gott überhaupt zugelassen, dass du mich verlässt? Kannst du mich nicht wenigstens im Traum besuchen kommen? Lass es dir gut gehen … Ich muss Schluss machen, Ameneh, meine Tränen …«
    Und dann starb mein Großvater. Er ging von mir, wie damals Ameneh von mir ging. Ich wollte es nicht wahrhaben. Mein geliebter Opa! Der so rührend und liebevoll reagiert hatte, als er dann doch erfahren hat, dass mir durch den heimtückischen Säureanschlag mein Augenlicht geraubt worden war. Ich kam mir vor wie im Traum, nachdem er gestorben war. In einem hässlichen Traum, aus dem ich vielleicht nie erwachen würde. Dabei wusste ich, ich müsste das Leben lieben. Obwohl mein Herz mir wie ein Stein vorkam. Obwohl ich kaum Stolz und keine Freude empfand, wenn andere sagten: »Beeindruckend, Ameneh, was du aus deinem neuen Leben gemacht hast.« Ich wusste, irgendwoher würde Lebenskraft kommen müssen: Blindenschrift, Gitarre spielen, singen lernen, meine Geschichte erzählen, einen Computer beherrschen, vielleicht sogar bald Arbeit finden … Wach auf, Ameneh, wach auf!

20. Ausblick – Ich werde sehen
    Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher