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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
Autoren: Ameneh Bahrami
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keinen Fall tun.
    Natürlich hätte man auch versuchen können, anstelle des Rechts auf Vergeltung eine lebenslängliche Haftstrafe gegen Madschid zu erwirken. Aber es gab im Iran an verschiedenen nationalen Feiertagen zu viele Amnestien, als dass ich davon hätte ausgehen können, für den Rest meines Lebens vor diesem Verbrecher sicher zu sein. Es existierte einfach keine Sicherheit für mich, zumal auch unabhängige Prozessbeobachter und die Richter selbst davon überzeugt waren, dass Madschid sich nach Ablauf seiner Gefängnisstrafe an mir rächen würde. Dieses Risiko konnte und wollte ich nicht tragen müssen. Er sollte weiterhin in dem berüchtigten Gefängnis Ghezel-Hesar außerhalb von Teheran unter Mördern, Vergewaltigern und zum Tode Verurteilten sein Dasein fristen. Und einen Teil seiner Haftstrafe sollte er im Dunkeln ableisten –
blind, ohne Augenlicht.
    Nachdem die Anklage – es wunderte niemanden – schließlich auf unbedingten Vorsatz und versuchten Mord lautete, zog sich das Gericht zur Beratung zurück.

19. Augenhöhe – Im Namen des Herrn
    In der Verhandlungspause wurde im Saal die Entrüstung laut, die in Gegenwart der Richter unterdrückt werden musste. Mein Vater bemühte sich, meinen Onkel zu beschwichtigen, in dem es immer noch brodelte: »Ich weiß ja, dir platzt der Kragen, aber beruhige dich doch. Warte ab, was die Richter sagen. Es wird sich alles finden.«
    Mein Anwalt kam auf mich zu: »Na, Ameneh, wie fühlst du dich?«
    »Dr. Sarrafi, haben Sie das gehört? Er hat sich mit keiner Silbe entschuldigt. Ich, nur ich, war die Schuldige. Weil ich Nein gesagt habe und weil ich mein Kopftuch zu lose gebunden hatte. Wenn er wieder freikommt, wird er mich in Stücke reißen. Und – er will tatsächlich meine Augen ausräumen lassen! Mit was für Menschen haben wir es hier eigentlich zu tun?«
    »Deine Tante ist aus diesem Grund wieder gegangen«, erklärte mir meine Mutter, »weil sie das alles nicht länger mitanhören wollte.« Anfangs hatte sie mir noch geraten, dem jungen Sünder zu verzeihen – ihn gar zu heiraten. Und nun war sie so außer sich, dass auch sie fand, man müsse ihn sehr hart bestrafen. Das konnte ich häufig beobachten: Aus der Ferne beurteilten die Leute die Sache mit einer gewissen Milde. Da war es nur dieser junge Mann, der einen schlimmen, aber gleichwohl unbedachten Fehler gemacht hatte. Wenn sie ihn und sein Verhalten dann aber mit eigenen Augen sahen, änderten sie ihre Meinung ins Gegenteil. So wie eine der Gerichtsdienerinnen. Sie wollte zunächst nicht glauben, dass jemand so hartherzig sein konnte wie er. In einer Verhandlungspause dann sprach sie mich an und entschuldigte sich: »Verzeihen Sie mein vorschnelles Urteil. Ich hatte ja keine Ahnung, wie uneinsichtig und gefühllos er ist.«
    Die Beratungspause war zu Ende.
    »Behnam-e khoda« – im Namen des Herrn – wurde das Urteil verkündet: »Nach iranischem Recht und laut dem Heiligen Buch des Koran ist eine Frau halb so viel wert wie ein Mann. Folglich zählen zwei Augen einer Frau so viel wie ein Auge eines Mannes. Und so erhält Frau Bahrami das Recht, ein Auge des Täters zu blenden. Um auch sein zweites Auge blenden zu können, würde die Zahlung von zwanzig Millionen Toman fällig. Zusätzlich zu dem Recht auf Vergeltung wird der Angeklagte zu zwölf Jahren Gefängnisstrafe verurteilt.«
    Ich traute meinen Ohren nicht! Hatte ich tatsächlich richtig gehört? Meine beiden Augen so viel wert wie eines von seinen? Dabei bezeichnet doch ausgerechnet unsere persische Sprache Eheleute als »hamsar«, einander ebenbürtig. Und das soll nun dem Gesetz nach anders sein? Er hatte mir nicht nur mein Augenlicht genommen, sondern mein ganzes Gesicht und meine Gesundheit zerstört. Und ich sollte ihm nur ein Auge nehmen dürfen? Wie hatte ich nur vergessen können, dass nach unserem Recht eine Frau nur halb so viel wert war wie ein Mann?
    »Wie ungerecht!«, brachte ich mit Mühe hervor.
    »So steht es im Rechtskodex der Islamischen Republik, und an den halten wir uns. Mehr gibt es dazu nun nicht zu sagen. Die Verhandlung ist geschlossen.«
    Im Saal brach eine heftige Diskussion los. Mir aber hatte es die Sprache verschlagen. Ich hatte noch immer nicht ganz begriffen, welches Urteil da soeben ausgesprochen worden war. So oft hatten mich die Herren einbestellt, hatten meinen Argumenten Gehör geschenkt – und jetzt das? Wie hatte ich auch nur für einen Augenblick vergessen können, dass in unserem Staat
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