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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
Autoren: Ameneh Bahrami
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bemühen. Dr. Saburi tat, was er konnte. Hier und da gaben anonyme Spender kleinere Beträge, die mich immer wieder sprachlos machten. All den Menschen, die mir aus tiefster Überzeugung geholfen haben, werde ich außer meinem Buch und meinem aufrichtigen Dank nichts zurückgeben können – und trage doch die Kraft ihrer Hilfsbereitschaft in mir.
    Pari Zanganeh, die berühmte iranische Opernsängerin, die bei einem Autounfall ihr Augenlicht verloren hatte, gab zwei Benefizkonzerte für mich. Mehrere zuversichtliche Helfer boten mir an, Spendenaktionen zu starten. Ich bremste ihren Enthusiasmus – aus Erfahrung. Sogar wenn wir das Geld meiner Familie einsetzten, das wir in bescheidenem Rahmen ja verdienten, weil außer meinem Vater alle arbeiteten, zerrissen sich die Leute den Mund darüber, wie sorglos wir mit dem Geld anderer Leute umgingen. Oder es hieß: Ameneh täuscht ihre Operationen nur vor und baut sich mit dem Geld dafür ein Haus. Gerüchte dieser Art hätten eigentlich an mir abprallen müssen – aber manchmal trafen sie mich doch mitten ins Herz.
    Vor meiner Rückkehr nach Spanien wollte ich unbedingt meinen Großvater in Hamadan besuchen. Immerhin hatte ich ihn seit über drei Jahren nicht mehr gesehen. Es ging ihm nicht besonders gut. Er war stark gealtert und hatte – das wusste ich von meiner Großmutter – unter meinem Schicksal sehr gelitten. Natürlich wurden Menschen alt und grau und gehen eines Tages von uns. Aber wenn Madschid nicht gewesen wäre, so dachte ich manches Mal, dann hätte mein Großvater weniger leiden müssen. Ich dachte zurück an die Zeiten, in denen wir so viel Spaß mit ihm hatten, seine Scherze, seine Lebensweisheit, seine Lieder, sein Flötenspiel … Mittlerweile waren seine Kräfte geschwunden. Seine Stimme war schwach, ebenso sein Augenlicht. Als er mich sah und fragte, ob ich in Europa mein Augenlicht zurückbekommen hätte, kam ich meiner Mutter zuvor und sagte schnell: »Ja, Opa, ich sehe wieder.« Er lächelte und seufzte erleichtert: »Dem Himmel sei Dank!«
    Mein Handy klingelte. Eine Zeitungsredakteurin bat um ein Interview mit mir.
    »Ich bin zurzeit in Hamadan …«
    »Oh, dann wissen Sie vielleicht das Neueste noch gar nicht?«
    »Nein, worum geht’s denn?«
    »Das Gericht hat beschlossen, dass Sie die zwanzig Millionen nicht zahlen müssen. Ihre Gesichts- und Handverletzungen werden gegen sein zweites Auge aufgerechnet.«
    Ich wollte kaum glauben, was ich da gehört hatte. »Ich bitte Sie, sagen Sie das noch einmal, ich kann es ja kaum fassen!«
    »Sie haben richtig gehört, Frau Bahrami: Sie dürfen seine beiden Augen blenden!«
    Ich hatte es geschafft. Ich hatte gewonnen. Einen Sieg davongetragen, in einem Kampf, der nur Verlierer kannte. Ein Sieg, der darin mündete, dass ich einem Menschen, der mich zerstört hatte, das Augenlicht nehmen würde. Plötzlich bekam ich Angst. War das tatsächlich ein Sieg? War es ein Triumph?
    Im Februar 2009 flog ich für eine weitere Operation nach Barcelona zurück. Diesmal begleitete mich meine kleine Schwester Schadi. Nicht nur, weil ich mich nicht mehr von meiner älteren Schwester Schirin begleiten lassen wollte – ich fürchtete auch, man könnte Schadi im Iran etwas antun.
    Es war eiskalt in Barcelona, draußen und auch in meinem Zimmer. Maria-Rosa wollte partout nicht heizen. Die Kälte trug wahrlich nicht dazu bei, Schadis Heimweh zu lindern. Unsere vordringliche Aufgabe aber war, eine neue Bleibe zu suchen. Einmal mehr mit wenig Geld. Und natürlich statteten wir auch Dr. Medel einen Besuch ab und berichteten ihm, wie weit ich in Teheran gekommen war.
    Er meinte, wenn ich seine Schwester oder seine Tochter wäre, wüsste er nicht, welche Entscheidung er gutheißen würde.
    »Wenn du den jungen Mann blendest, kommt eine rachsüchtige Ameneh zum Vorschein, und das bist du nicht.«
    Meine Großmutter hatte mir einst die Geschichte von Ghodrat erzählt, einem Verwandten, vor dem alle eine Riesenangst hatten. Warum? In seiner Jugend hatte ihm jemand ein Ohr abgeschnitten, und er musste jahrelang den Spott der Leute ertragen. Niemand hätte von dem stillen Burschen je gedacht, dass er sich eines Tages rächen würde. Er schnitt seinem Peiniger ebenfalls ein Ohr ab. »Glücklich ist er danach nicht geworden«, rief meine Großmutter mir in Erinnerung. »Du weißt, dass alle große Angst vor ihm hatten, Ameneh. Vergiss es nicht. Gib acht, dass aus dir nicht unser zweiter Ghodrat wird, hörst du, mein Kind!«
    Aber
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