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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
Autoren: Ameneh Bahrami
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ihm die Frage: »Wenn Ihre Tochter betroffen wäre, würden Sie das Mädchen so einfach einem solchen Mann überlassen?«
    Am höchsten Feiertag des Landes wurden immer Gefangene begnadigt. Welch Glück für sie und ihre Familien. Zu schade nur, dachte ich, dass es keine Amnestie gab, die mir mein Augenlicht zurückbringen könnte.
    »Wir sind dran«, sagte meine Mutter und stieß mich sanft in die Seite. Ich erhob mich mit Bedacht, um nicht zu stolpern.
    »Salam, meine Tochter«, begrüßte mich der Oberste Richter des Iran. »Sie haben doch nun Ihr Recht bekommen. Woran fehlt es denn jetzt noch?«
    »Ich soll sein zweites Auge tatsächlich für zwanzig Millionen kaufen, wo meine eigene Behandlung mich so viel kostet! Und soll auch noch dankbar sein für dieses Urteil?«, fragte ich und nahm dabei meine Brille ab.
    Meine Mutter sagte mir später, dass Richter Schahrudi augenblicklich den Kopf senkte, als er meine Augen sah.
    »Bitte setzen Sie Ihre Brille wieder auf, und erklären Sie mir genau, was Sie verlangen.«
    Ich erklärte es ihm. »Ich möchte Geld für meine Behandlungen, weil der Prozess mir finanziell nichts bringt. Zweitens möchte ich auch sein zweites Auge, und zwar ohne etwas dafür bezahlen zu müssen.«
    Nach einer kurzen Pause sagte Richter Schahrudi: »Ich übergebe Sie und Ihren Fall nun Oberstaatsanwalt Mortazawi.«
    Der hatte, von mir unbemerkt, unserem Gespräch schon von Beginn an beigewohnt. Ich sagte: »Herr Mortazawi hat schon mehrfach gesagt, dass er mir helfen will. Bisher hab ich nichts von ihm gehört.«
    Plötzlich hörte ich ihn aus dem Hintergrund sprechen: »Ich kümmere mich darum, ich kümmere mich …«
    Bis zur nächsten Enttäuschung, dachte ich mir. Meine Mutter und ich gingen niedergeschlagen wieder nach Hause.
    Ich unternahm einen neuen Vorstoß, um eine Änderung meines Urteils zu bewirken, und wurde tatsächlich empfangen. Ein weiterer Vertreter des Justizministeriums lud mich vor und sprach mir sein vollstes Verständnis aus. »Das Leben ist nicht immer gerecht, Frau Bahrami. Dass Sie heute hier vor mir stehen, macht mich besonders traurig. Die jungen Leute haben es heute wahrlich nicht leicht. Den richtigen Weg finden, sich eine Zukunft aufbauen, das ist heute gar nicht einfach … Und dann passiert einer fleißigen, rechtschaffenen, zielstrebigen jungen Frau das, was Ihnen passiert ist. Jetzt, wo ich Sie gesehen habe, wird mir klar, dass man das Urteil überdenken muss. Ich will sehen, was ich tun kann.«
    Er geleitete mich zur Tür und verabschiedete sich mit dem Rat, es sei nun an der Zeit zu beten. Ich gab ihm meine Bitte mit auf den Weg, mich in seine Gebete miteinzuschließen.
    Zu Hause stürmten alle auf mich ein: »Wie ist es gelaufen? Hast du etwas Neues erwirken können?«
    Ich wusste es nicht. Zumindest hatte ich keine endgültige Antwort bekommen. Ich solle abwarten, und das hieß zumindest nicht, dass die Sache schon erledigt war. Aber irgendwie hatte ich ein gutes Gefühl. Das letzte Wort war noch nicht gesprochen. Wenn sie mir sein zweites Auge auch zugestehen würden, wäre ich die erste Frau im Iran, die sich dieses Recht erstritten hätte. Es wäre ein trauriger Sieg. Aber ein Sieg. Zudem stritt ich ja nicht nur für mich alleine.
    Eine meiner Cousinen hatte sich wohl schon ein Beispiel an mir genommen. Von ihrem Vater hatte sie Prügel bezogen, wann immer es ihm passte; und ihr Vater hatte einen Mann für sie ausgesucht, mit dem sie unglücklich war. Eines späten Nachmittags rief sie mich an: »Ameneh, ich bin dir so dankbar und so stolz auf dich. Ich weiß jetzt, dass ich mich von Anfang an gegen Papas Prügel hätte wehren dürfen. Und ich weiß, dass ich mich über seine Bevormundungen hätte hinwegsetzen müssen. Ich will nicht länger Beruhigungspillen schlucken, um mein Leben ertragen zu können. Ameneh, stell dir vor, ich habe mich endlich dazu durchgerungen, die Scheidung einzureichen. Ich will frei sein, will studieren und mein eigenes Leben leben!«
    Ich freute mich für sie und wünschte ihr Kraft für die kommenden Wochen und Monate. Die würde sie brauchen, um ihre Scheidung durchzufechten. Starke Nerven und triftige Gründe – die würde sie vorbringen müssen, weil sie als Frau die Scheidung einreichte. Ein Mann, der sich scheiden lassen wollte, brauchte in der Regel keine Gründe zu nennen – Frauen hingegen mussten sich dieses Recht hart erkämpfen.
    Leichter wurde auch meine Lage nicht. Ich musste mich weiterhin um Spenden
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