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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
Autoren: Ameneh Bahrami
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unermüdlich loben und preisen, den du gar nicht sehen kannst?«, fragte ich ungläubig. Und weil ich nicht bloß enttäuscht, sondern auch wütend war, stand für mich plötzlich fest: »Es gibt überhaupt keinen Gott. Wie könnt ihr sagen, ihr sprecht mit ihm oder er spricht zu euch, wenn es ihn gar nicht gibt?«
    Meine Mutter bemühte sich, mich zu beschwichtigen.
    »Wenn du älter bist, wirst du es verstehen. Gott ist immer da, für dich, für deine Geschwister, für alle Menschen. Und wenn du Kummer hast, wenn dir das Herz schwer ist, schau einfach in den Himmel – du wirst Gottes Licht sehen und kannst mit ihm reden. Immer und überall wird er dich erhören … Dass es ihn gibt, hast du doch am eigenen Leib schon erfahren. Ist euch in Hamadan je etwas zugestoßen?«, fragte meine Mutter schließlich.
    »Nein«, antwortete ich und hatte in ihren Augen damit den Beweis für Gottes Existenz erbracht.
    »Siehst du«, schloss sie, »Gott hat euch beschützt. Jeden Sommer konnte ich euch beruhigt nach Hamadan ziehen lassen, weil ich wusste, ihr seid in Gottes Hand.«
    Mich ließ diese Erklärung zwar äußerst unbefriedigt. Und wenn auch damals die Enttäuschung überwog, brachte das mein Leben am Ende doch nicht ernsthaft aus dem Gleichgewicht. Die Zeit verging, der Alltag nahm seinen Lauf. Erst als ich in die dritte Grundschulklasse kam, also mit etwa neun Jahren, nahm mein Leben eine erste unangenehme Wendung …

5. Schreckensbilder – Leben und Sterben im Golfkrieg
    Es war Krieg. Ein Krieg, der für uns Kinder zunächst etwas Abstraktes war. Ein Begriff nur, der zwar täglich in den Nachrichten herumgeisterte, für unsere Familie aber nicht direkt spürbar war. Meine Familie blieb lange Zeit verschont, und die Gespräche zu Hause – zumindest die in der Gegenwart von uns Kindern – drehten sich nur sehr selten um diese Schlacht, die am Ende in fast jede Familie Tod und Trauer brachte. Auch in unsere.
    Was ich vielmehr nach und nach zu spüren bekam, war die schleichende Veränderung meines Vaters. Zum einen wurde er im Laufe der Zeit immer stiller und zog sich immer mehr in sich zurück, zum anderen kam es bei ihm immer häufiger zu völlig unvorhersehbaren und spontanen Ausbrüchen, die nicht selten darin endeten, dass er uns Kinder scheinbar aus heiterem Himmel einfach verprügelte. Tagsüber führten wir ein fröhliches und unbeschwertes Leben. Aber abends, wenn mein Vater nach Hause kam, wurde plötzlich nur noch geflüstert.
    Heute weiß ich, dass mein Vater in jener Zeit sehr krank war. Er war depressiv geworden, und wie ich erst sehr viel später erfuhr, war mein Vater zeit seines Lebens ein unglücklicher Mann. Ein Mann, der sich jahrelang selbst innerlich zerfraß, weil er mit seinen Lebensumständen nicht mehr zurechtkam. Die Ehe meiner Eltern war – wie so häufig in unserer Gesellschaft – eine arrangierte. Nicht meine Mutter war die Frau, die mein Vater begehrte. Es gab offenkundig eine Jugendliebe, mit der er aus familiären Gründen, auf die er keinen Einfluss nehmen konnte, nie zusammenkommen durfte. Und diese verpasste große Liebe raubte ihm viel Lebensfreude.
    Mein Vater schlug eines Tages die Scheidung vor, und unsere Eltern trennten sich fast lautlos und im gegenseitigen Einverständnis innerhalb kürzester Zeit. Wir Mädchen sollten bei ihm in Teheran bleiben, meine beiden Brüder gingen mit meiner Mutter nach Hamadan.
    Für uns war eine Welt zusammengebrochen. Irgendwann musste mein Vater wohl erkannt haben, dass es ihm schwerfiel, sich alleine um seine Kinder zu kümmern, und er schlug vor, wir sollten, selbst wenn wir uns dafür voneinander trennen mussten, bei unserer Mutter leben. Er wollte nicht wieder heiraten, weil eine neue Frau sicher mit uns fünf Kindern nicht gut zurechtgekommen wäre. Also packten wir unsere Sachen zusammen und zogen zu unserer Mutter nach Hamadan.
    Meine Mutter war nun eine geschiedene Frau, und wir waren plötzlich Scheidungskinder, die es in dem eher traditionellen Hamadan nicht so häufig gab wie etwa in einer Großstadt wie Teheran. Wir waren zwar an dem Ort angelangt, an dem wir die wundervollsten Sommer verbracht hatten. Jetzt aber war Winter, und die Kälte zerfraß uns fast die Knochen.
    Und zu allem Unglück traf schließlich der Krieg auch unsere Familie. Der erste Golfkrieg, Ende September 1980 ausgebrochen, war das jüngste Kapitel des weit über fünf Jahrhunderte alten Grenzstreits zwischen Irak und Iran um die Vorherrschaft am Persischen
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