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Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes
Autoren: Brigitte Riebe
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am liebsten laut um Hilfe gerufen hätte. Doch bis die schwerhörige Iset mühsam aus dem Bett gehumpelt käme, wäre es ohnehin zu spät.
    Dann schoss die Kobra plötzlich zur Seite, und Mina hörte lautes Fauchen. Etwas hatte sich seitlich am Kopf der Schlange verbissen, das sie abzuschütteln versuchte, was ihr aber offenbar nicht gelang. Das Zischen wurde lauter, das Fauchen geriet zu einem Knattern, wie sie es niemals zuvor gehört hatte.
    Eine Katze? Aber brachten die samtpfotigen Geschöpfe der Bastet überhaupt solche Töne hervor?
    Der Zweikampf schien sich ein ganzes Stück entfernt zu haben, denn plötzlich waren alle Geräusche wie von der Nacht verschluckt. Mina stieg aus dem Teich, streifte mit zitternden Händen das Kleid über und versuchte, sich in der Dunkelheit zu orientieren. Beim Herumtasten entdeckte sie einen dicken abgebrochenen Ast, den sie aufhob, um sich damit zu bewaffnen.
    Schließlich fand sie die beiden Kontrahenten.
    Die Katze kam ihr erstaunlich klein vor, ein zähes, mageres Bündel aus getigertem Fell und scharfen Krallen, das gegen die Schlange kaum dauerhaft bestehen konnte. Wieder richtete sich die Schlange auf, um sich für ihre Giftattacke wirkungsvoll zu platzieren; wieder reagierte die Katze rechtzeitig und attackierte erneut blitzschnell den Kopf. Zischend versuchte die Schlange sich zu befreien, hörbar auf das Äußerste gereizt.
    Apophis, das Ungeheuer aller Ungeheuer, das Re vernichten will, dachte Mina. Genauso, wie die alten Märchen es berichten.
    Ohne lange zu überlegen, hob sie den Ast und drosch auf die Schlange ein, bis sich diese nicht mehr rührte.
    Mina wartete, dann stieß sie vorsichtig mit dem Ast nach dem Reptil; es war eindeutig tot. Jetzt erst ließ sie ihre Waffe fallen. Sie hatte ihren Dienst erfüllt, und Mina verspürte keine Lust, sich länger wie eine Mörderin zu fühlen.
    Doch wo war die mutige Katze abgeblieben, der sie ihre Rettung verdankte? Mina schaute sich nach allen Seiten um, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Eine Weile blieb sie unschlüssig stehen, dann begann sie leise Schnalzlaute auszustoßen, wie man es oft auch bei kleinen Kindern tut.
    Ihr Locken blieb ohne Resonanz.
    »Bastet!«, rief sie schließlich. »Bast… - kleine Paschet, wo bist du denn?«
    Beinahe hätte sie laut über sich selber gelacht, jetzt, wo Aufregung und Schrecken sich allmählich legten. Da stand sie mitten in der Nacht in ihrem dunklen Garten und rief nach einer wildfremden Katze, der sie auch noch den Namen der Großen Göttin gab! Und dennoch kam es ihr so vertraut vor, dass sie kaum noch damit aufhören konnte.
    »Bastet? So komm doch, meine tapfere Sonnenkämpferin!« Wehmut und Bitterkeit der letzten Stunden waren verschwunden. Stattdessen fühlte sie sich gelöst und auf wunderbare Weise müde.
    Schließlich entschloss sie sich, zurück ins Haus zu gehen. Morgen würde sie Iset die tote Schlange beseitigen lassen, hoffentlich die letzte auf ihrem Terrain für lange, lange Zeit. Mina war schon fast an der Türe angelangt, als sie plötzlich ein leises Maunzen hörte.
    Die Katze hockte unter einem Busch und starrte sie an. Im Mondlicht waren ihre Augen leuchtend grün.
    »Da hast du dich verkrochen!« Mina ging einen Schritt auf sie zu.
    Die Katze legte die Ohren an und fauchte.
    »Aber du brauchst doch keine Angst vor mir zu haben!« Sie bückte sich und streckte die Hände nach ihr aus.
    Die Katze schoss nach vorn und schlug ihre Krallen tief in Minas Fleisch.
    Mit einem Schmerzlaut richtete Mina sich wieder auf.
    »Also wehren kannst du dich, kleines Biest! Das hast du jetzt zur Genüge bewiesen.« Tiefe dunkelrote Kratzer zogen sich über ihren linken Handrücken. Es brannte. Blutete. Und tat richtig weh. Sie würde das Andenken an diese besondere Nacht eine ganze Weile mit sich herumtragen, so viel war gewiss. »Dabei meine ich es doch nur gut mit dir. Bist du etwa auch verletzt und nur deshalb so scheu?«
    Die beiden musterten sich schweigend.
    »Ich wollte mich lediglich bei dir bedanken«, sagte Mina. »Sieht allerdings so aus, als hättest du das gründlich missverstanden.«
    Die Katze blinzelte. Dann duckte sie sich, drückte ihren Leib näher an den Boden und kroch rückwärts tiefer in den Busch.
    »Ich werde dich nicht zum Rauskommen zwingen«, sagte Mina. »Das musst du wissen. Aber vielleicht verlierst du irgendwann die Lust, dich zu verstecken, was meinst du, und kommst freiwillig zu mir?«
    Sie hörte sich selber reden wie eine Fremde,
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