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Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes
Autoren: Brigitte Riebe
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sein, sie ließ sich durch nichts und niemanden von ihrem Tun abbringen. Iset knetete so schnell Mehl, Salz, Wasser, ein paar Tropfen Öl und einige Spritzer aus ihrem Sauerteigschälchen zusammen, dass es fast wie Hexerei wirkte.
    »Du kommst spät«, sagte sie nach einem knappen Seitenblick. »Und du siehst müde aus. Du hast doch nicht etwa geweint?«
    Mina musste lächeln. Eine Begrüßung, wie sie nicht typischer für Iset hätte sein können!
    Mina hatte Chais alte Amme mit dem schönen Haus in Flussnähe geerbt, in dem sie so lange zusammen gelebt hatten. Iset konnte patzig sein und äußerst nachtragend, sie hörte schlecht, vergaß schon mal drei von vier Dingen, die man ihr aufgetragen hatte, und an manchen Tagen war es alles andere als leicht, mit ihr auszukommen. Die meiste Zeit aber vertrugen sich die beiden gut.
    Mina legte das Mitgebrachte auf einen Hocker. Wieder ein kritischer Blick von Iset, dann hörbar unwilliges Schnaufen.
    »Ich weiß genau, was du jetzt sagen willst«, sagte Mina. »Du kannst dir die Mühe also sparen.«
    »Und wieso schleppst du solchen Unrat dann überhaupt zu uns nach Hause? Gehören wir vielleicht zu den armen Leuten, die so etwas nötig haben? Ist es das, was du mir damit sagen willst? Dass du es leid bist, mein Essen zu bezahlen, nur weil ich alt und schwach geworden bin?«
    »Ich tue es, weil zum Geben auch immer Nehmen gehört«, widersprach Mina. »Sie hören meine Geschichten an, und …«
    »… du lässt es dir mit Abfall lohnen? Schöner Ausgleich!« Iset rümpfte die Nase und schlug noch kräftiger auf ihren Teig ein. Danach formte sie flache, runde Fladen, die sie energisch in den Ofen schob. »Mein armer Liebling würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn er das wüsste. Die Frau des Ersten Tempelschreibers, die sich wie ein törichtes Mädchen vom Lande vor die Marktfrauen hinstellt und einfach …«
    »Dein armer Liebling ist seit sieben Jahren tot«, sagte Mina, schärfer, als eigentlich beabsichtigt. »Außerdem war er mein Mann. Und das sehr viel länger, als er deine Milch getrunken hat. Chai hat meine Geschichten stets gern gehabt und sie kein bisschen töricht gefunden. Das weißt du ebenso gut wie ich!«
    Die harschen Worte taten ihr leid, kaum dass sie ihrem Mund entschlüpft waren. Das Resultat blieb nicht aus: Isets spitzes Kinn schob sich gekränkt nach vorn, die schmalen Schultern fielen kraftlos herab. Mina trat zu ihr und schlang von hinten die Arme fest um sie.
    »Er hat es immer gehasst, wenn wir gestritten haben«, sagte sie leise. »Daran sollten wir beide denken, findest du nicht?«
    Iset nickte.
    »Chai war der friedlichste kleine Kerl, den ich jemals an der Brust hatte«, sagte sie. »Das hat er sich bewahrt. Auch später noch, als er schon erwachsen war und so viel Verantwortung auf seinen Schultern lastete. Wie konnte er uns nur so früh verlassen, Mina? Er wusste doch, wie sehr wir ihn brauchen!«
    Mina hielt sie eine Weile stumm an sich gedrückt und spürte dabei die spitzen Knochen unter der welken Haut. Sie wiegt kaum mehr als ein zerrupftes Vögelchen, dachte sie. Bald werde ich auch sie verlieren.
    »Ich sterbe halb vor Hunger«, sagte sie, längst wieder versöhnt, und ließ die Alte los. »Könnte das, was dort drüben auf dem Feuer brodelt, etwa deine legendäre Linsensuppe sein?«
    »Sie ist so gut wie fertig.« Die Amme begann zu strahlen. »Ich muss sie nur noch abschmecken.«
    Die Suppe war gehaltvoll und würzig wie immer, und dennoch verließ Mina schon nach wenigen Löffeln der Appetit, denn die Linsen schmeckten nach Vergangenheit, nach glücklichen Tagen, die längst verflogen waren. Wie ein Schatten hatte sich die Sehnsucht nach Chai über Minas Gemüt gelegt, machte sie dünnhäutig und melancholisch.
    Es war keine Liebe auf den ersten Blick gewesen, zumindest nicht von ihrer Seite. Der schmale Schreiber mit den wachen Augen und dem vorzeitig gekrümmten Rücken, der ihr so beflissen den Hof machte, hatte sie zunächst mehr belustigt als interessiert. Da waren andere um sie gewesen, jüngere, geschmeidigere Männer, lustigere und kühnere, mit frechen Sprüchen, denen sie zunächst den Vorzug gegeben hatte. Nur weil er hartnäckig blieb, stets gleichbleibend freundlich und aufmerksam, so kühl und abweisend sie sich auch verhielt, hatte sie sich schließlich überhaupt auf ihn eingelassen.
    Sie waren zusammen spazieren gegangen, saßen nebeneinander am Fluss, redeten, diskutierten. Niemals hatte er sie
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