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Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes
Autoren: Brigitte Riebe
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»Sieht man mir das an?«
    »Wenn man dich so gut kennt, wie ich es tue, vielleicht.«
    »Ich sterbe, wenn ich sie nicht wiedersehen kann.« Seine Schultern sackten kraftlos nach vorn. »Und ich werde sie niemals wiedersehen. Das steht fest wie in Rosengranit gemeißelt.«
    »Setz dich erst einmal!«, befahl sie und rief nach der Wirtin, um einen neuen Krug Bier zu bestellen. Sie wartete, bis die beiden Becher vollgegossen waren und er getrunken hatte, dann nahm auch sie einen Schluck. Erst jetzt sah sie ihn an. »Also«, sagte sie, »was ist passiert?«
    Während er zu erzählen begann, ließ sie die Augen auf ihm ruhen, und plötzlich war es, als öffne sich ein Vorhang. Das Männergesicht verschwand; stattdessen zeigten sich all die anderen Gesichter, die dahinter lagen: das des Dreijährigen, dessen süßen Kindergeruch sie begierig eingesogen hatte, während seine schmutzigen Füßchen auf ihrem Schoß herumpatschten. Damals war sie sich wie eine Verschwörerin vorgekommen, hatte innerlich noch ständig stumme Zwiesprache mit der Großen Göttin gehalten, die ihr sicherlich bald ähnliche Freuden schenken würde. Später dann war das Jungengesicht schmäler und länglicher geworden, als hätte Chnum, der große Töpfer, seine Scheibe ein paar behutsame Runden weitergedreht. Aber noch immer hatte Mina die Zuversicht, selber Mutter zu werden, nicht verlassen. Selbst als Amenis Gesicht Jahre später wie ein eitriges Gewebe Pickel und Pusteln bedeckten, von denen noch jetzt winzige Narben zeugten, hatte ein letztes Restchen Hoffnung in ihr geglommen. Die Große Göttin konnte Wunder bewirken, immer wieder hörte man davon, und verehrte man Bastet nicht zuletzt deshalb als heilige Hüterin der Familie? Ob sie Mina längst auserwählt hatte und sie nur so lange auf die Probe stellte? Der Vorhang schloss sich wieder, die Vergangenheit verblasste. Das Wunder war ausgeblieben. Es gab keine Hoffnung mehr, Mina hatte sich mühsam damit abgefunden. Inzwischen war ihr Neffe erwachsen: ein großer junger Mann, den nun offenbar brennende Liebesglut plagte.
    »Hörst du mir überhaupt zu?« Amenis dunkle Brauen waren fragend nach oben geschnellt.
    »Aber natürlich«, erwiderte Mina nicht ganz wahrheitsgemäß. »Du bist verliebt und vollkommen außer dir. Du willst zu ihr, aber das kannst du nicht. Sie wartet zwar auf dich, aber sie darf das Haus nicht verlassen. Dir ist es jedoch untersagt, es zu betreten.« Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn. »Klingt nach einer äußerst komplizierten Geschichte, wenn du mich fragst, die nicht unbedingt einen glücklichen Ausgang verheißt. Willst du dir das Ganze nicht lieber noch einmal in aller Ruhe überlegen?« Sie lächelte. »Es gibt doch so viele schöne Mädchen in unserer Stadt - für einen anziehenden jungen Mann wie dich!«
    »Das kann ich nicht, denn es ist keine von deinen Geschichten!« Wenn er wütend wurde, erinnerte er sie an den jungen Chai, der bei gewissen Themen ebenfalls schnell aus der Haut gefahren war. Seine Augen blitzten. »Es ist wahr , kapiert? Und das genau ist der Unterschied. Ich liebe sie!«
    »Und liebt sie dich auch?«
    »Ja, denn wir gehören zusammen - und wenn die ganze Welt sich gegen uns verschworen hat! Asha ist die Einzige, die ich jemals zu meiner …« Er verstummte.
    »Asha«, wiederholte Mina bedächtig, als koste sie eine unbekannte Frucht. »So heißt sie also, deine unerreichbare Liebste. Was für ein klangvoller, ungewöhnlicher Name …«
    »Vergiss ihn sofort wieder!«, fiel er ihr ins Wort. »Du hast ihn niemals gehört, versprich mir das!«
    Sie sah ihn schweigend an.
    »Schwöre!«, fuhr Ameni fort. »Ich muss das von dir verlangen. Denn das Allerschlimmste weißt du ja noch nicht.«
    »Und das wäre, mein Junge?«
    Zu ihrer Verblüffung begann er loszuweinen, verzweifelt und hemmungslos, wie er es auch schon als kleines Kind getan hatte, wenn etwas nicht nach seinem Willen ging. Nun sprang er plötzlich auf, riss dabei die beiden Becher vom Tisch, die auf dem harten Boden zerschellten, und rannte davon.

    Die erste Runde Fladenbrote war bereits gebacken. Es duftete verführerisch, als Mina den Küchenhof betrat, und Iset war schon dabei, den Teig für weitere Brote zu kneten. Stets war der Vorrat viel zu groß für ihren klein gewordenen Haushalt, als rechne Iset mit ausgehungerten Gästen, die unversehens und in erstaunlicher Zahl einfallen könnten, aber sooft Mina sie auch freundlich ermahnte, weniger verschwenderisch zu
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