Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
aber es tat unendlich gut.
    »Ich könnte an Isets Milchvorrat gehen«, fuhr sie fort. »Ich weiß nämlich, wo sie ihre heimlichen Schätze aufbewahrt. Gut möglich, dass ich noch ein Restchen finde. Wäre das ein verlockendes Angebot?«
    »Mina?« Isets spröde Altfrauenstimme klang misstrauisch. »Hast du Besuch bekommen? Was macht ihr denn hier im Dunkeln?« Die Amme hatte sich in ihre Schlafdecke gewickelt und kam kopfwackelnd näher. »Ich hab dich reden hören.« Sie sah sich nach allen Seiten um. »Aber du bist ja ganz allein!«
    »Selbstgespräche«, sagte Mina mit einem Lachen und versteckte die malträtierte Hand hinter dem Rücken. »Nichts als Selbstgespräche. Siehst du, so weit kommt es, wenn man zu viel nachgrübelt. Lass uns schlafen gehen, meine Alte!«

    Die beiden Männer dämpften ihre Stimmen, obwohl es unwahrscheinlich war, dass ihnen zu dieser frühen Stunde jemand an diesem abgelegenen Ort zuhörte.
    »Und du bist dir sicher, dass es getan werden muss?«, wiederholte der erste.
    »Du weißt genau, dass es keinen anderen Weg gibt«, erwiderte der zweite. »Deshalb sind wir jetzt hier. Hier, wo alles seinen Anfang nahm, hier, wo alles baldmöglichst sein gottgefälliges Ende finden soll.« Die schmutzigen Lehmziegel schienen seine leise Stimme zu verschlucken. »Denn sie hat es uns befohlen. Ihrem Willen haben wir uns zu beugen - und keiner menschlichen Willkür.«
    Der erste sog die Luft scharf zwischen den Zähnen ein.
    »Du hast natürlich recht«, sagte er. »Mit allem, was du sagst. Aber eines bewegt mich doch: Was lässt dich auf einmal so gewiss sein?«
    »Du warst doch selber bei der letzten Opferschau dabei!«, erwiderte der andere. »Oder hat dich die Kraft deiner Augen auf einmal verlassen?«
    »Du meinst also, das Resultat war eindeutig?«
    »Niemals zuvor in meinem Leben habe ich etwas Eindeutigeres gesehen.«
    Der erste Mann seufzte. »Uns läuft die Zeit davon«, sagte er. »Hast du das schon bedacht? Bis zum Großen Fest sind es kaum mehr als jämmerliche drei Wochen.«
    »Und wenn schon! Wir müssen es eben schaffen, noch größere Kräfte aufzubringen, und ich weiß, es wird uns gelingen. Sie mahnt uns, begreifst du das, sie hat uns erwählt, um in ihrem Namen zu wirken.« Seine Stimme hatte einen metallischen Klang angenommen, der kaum noch Einwände zuließ. »Wir dürfen jetzt nicht länger feige oder zögerlich sein. Alle Ausreden gehören ein für alle Mal der Vergangenheit an. Wir müssen handeln, Schritt für Schritt, damit wir das hohe Ziel erreichen - ihr Ziel.«
    Eine Weile war es still.
    »Aber du warst selber noch nie unten«, begann der erste Mann wieder, und er klang sehr müde. »Du hast noch nicht gesehen, wie sie da alle zusammen …« Er verstummte. »Und du hast sie noch nie hören müssen«, fuhr er fort. »Das hast du doch nicht, oder?«
    »Nein«, sagte der zweite, »und ich werde es auch in Zukunft nicht müssen, denn das ist deine Aufgabe!«
    Eine Weile blieb es still.
    »Ich könnte Verstärkung brauchen«, begann der erste zögerlich. »Das würde es leichter machen. Für uns alle.«
    »Habt ihr das Kraut eingesetzt, so wie ich es euch aufgetragen habe?«
    »Das haben wir. Aber es sieht fast so aus, als seien sie klüger geworden. Einige, und es scheinen immer mehr zu werden, lassen sich nicht mehr damit übertölpeln. Sie laufen davon, wenn sie es riechen, anstatt sich anlocken zu lassen.«
    »Dann habt ihr zu wenig davon verwendet. Ihr müsst eine höhere Dosis nehmen. Sie können nicht dauerhaft widerstehen. Es wäre gegen ihre Natur.« Er schien zu überlegen. »An wie viel Mann Verstärkung hast du denn gedacht?«
    »Zwei, besser noch drei. Kommt ganz darauf an, wie kräftig sie sind - und wie belastbar. Man hält es nicht sehr lange durch, das solltest du bedenken.« Er räusperte sich. »Ich will nicht jammern, aber keiner von uns schläft mehr als ein paar Stunden. Von den Träumen, die uns heimsuchen, ganz zu schweigen.«
    »Dir ist bewusst, dass jeder zusätzliche Mitwisser ein größeres Risiko bedeutet«, mahnte der zweite Mann. »Ein Risiko, dessen wir uns hinterher auch noch entledigen müssen.«
    »Du willst sie danach alle umbringen lassen?« Der erste Mann war entsetzt. »Sie auch?«
    »Große Zeiten fordern große Opfer«, erwiderte die Metallstimme. »Und wir beide, alter Freund, sind mittendrin.«

    Am nächsten Morgen kam Mina alles vor wie ein Traum. Sie hatte mit den Linsen im Magen unruhig geschlafen und sich lauter Dinge
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher