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Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes
Autoren: Brigitte Riebe
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ich …«
    »Arbeit«, unterbrach er sie grob. » Arbeit? Dass ich nicht lache!«
    »Ich bringe die Menschen zum Weinen«, sagte sie.
    »Oder zum Lachen. Ich lasse sie träumen. Nachdenken. In ferne Länder reisen. In längst vergangene Zeiten. Und manchmal sogar alles zusammen.«
    »Eines hast du dabei allerdings vergessen.« Er kam ihr so nah, dass sie jede Pore sehen konnte. Seine Haut war fleckig, sein Atem roch säuerlich. Er hatte Chais kurze, kleine Nase, die in seinem fleischigen Gesicht allerdings eher verloren wirkte. »Eine nicht ganz unwesentliche Kleinigkeit.«
    Sie nickte. Unausweichlich, was nun folgen würde.
    »Die stattlichen Lieferungen, die der Tempel dir schickt, pünktlich jeden Neumond und jeden Vollmond, ohne dass du auch nur einen Finger dafür krümmen musst …« Rahotep schnaufte wie ein arthritisches Nilpferd. »Aber was reg ich mich überhaupt auf? Die Welt ist schlecht und ungerecht und wird es immer bleiben, so einfach ist das!«
    »Warum bist du nicht auch Schreiber geworden wie dein Bruder?«, versetzte sie ihm spielerisch. »Dann bräuchtest du heute seiner Witwe ihre paar Säcke Emmer und ihre gut gefüllten Ölkrüge nicht zu missgönnen.«
    Er ließ sie stehen, ging wortlos nach nebenan. Mina folgte ihm. Zu ihrer Überraschung hatte sich der einst ordentliche große Raum im Erdgeschoss, in dem der Schwager früher Gäste empfangen und Familienfeierlichkeiten abgehalten hatte, in ein wüstes Durcheinander verschiedenartigster Behältnisse verwandelt, die so eng nebeneinander standen, dass an ein Durchkommen kaum noch zu denken war. Tonkrüge, Körbe, Truhen - dazu ein Geruch, als befände man sich mitten unter den Gewürzständen!
    »Was ist denn hier passiert?«, rief Mina. »Hast du dein Lager jetzt nach Hause verlegt?«
    »Was fragst du noch? Dieser Sohn einer läufigen Hündin hat mich dazu gezwungen«, sagte er dumpf. »Seinetwegen gehen meine Geschäfte so schlecht, dass ich die Ladenmiete der letzten Monate nicht mehr bezahlen konnte. Schließlich hat mein Hausherr mich kurzerhand rausgesetzt und die Räume anderweitig vergeben. Und rate mal, an wen? Natürlich an ihn - meinen Peiniger!«
    »Was sagt denn Tama dazu?«
    »Frag lieber nicht!« Er befeuchtete die vollen Lippen.
    »Du kennst sie ja, ihr Jammern, ihr Klagen, ihre ständigen Beschwerden! Lieber heute als morgen wäre ich zurück im Gau des Was-Szepters oder besser noch im Gau des Nubischen Bogens, ganz egal wo, jedenfalls so weit wie nur irgend menschenmöglich weg von diesem unerträglichen Per-Bastet.«
    Als Jüngling hatte Rahotep an einer königlichen Expedition in den Süden des Reiches teilnehmen dürfen und dort die Grundlage seines bescheidenen Wohlstandes gelegt. Kein Wunder, dass er sich danach zurücksehnte!
    »Du könntest versuchen, wieder nach Süden zu reisen«, schlug sie vor. »Wäre das keine gute Idee für einen Neubeginn?«
    »Und wie sollte ich das bewerkstelligen, jetzt, wo diese bärtigen Hurenböcke hier bei uns das Sagen haben, kannst du mir das vielleicht auch verraten? Stell dir eine Antilope in einem Sandsturm vor, der unablässig seine Richtung ändert«, fuhr er fort, inzwischen endgültig nicht mehr zu bremsen. »Sobald sie ihre Laufrichtung wechselt, um ihm auszuweichen, tut es auch der Sturm und folgt ihr. Dies wiederholt sich wieder und wieder, bis sie alle Kraft verloren hat und inmitten der peitschenden Sandwolken kraftlos zusammensinken muss …« Seine Hand fuhr über die Augen. »Jetzt weißt du ungefähr, wie ich mich fühle.«
    Der plumpe Rahotep als flinke Antilope - er hätte keinen unpassenderen Vergleich wählen können! Mina unterdrückte ein Lächeln. Er war ein Angeber und Übertreiber, dieses Mal aber schien es ihn tatsächlich übel erwischt zu haben.
    »Kannst du mit deinem Widersacher nicht verhandeln?«, fragte sie. »Es gibt doch immer einen Weg, wenn beide Seiten sich etwas entgegenkommen! Im Streit zwischen Horus und Seth zum Beispiel schlägt Isis …«
    »Verschon mich mit deinen Märchen!«, rief Rahotep. »Die taugen vielleicht für alte Weiber, aber doch nicht für einen Kaufmann wie mich!«
    Ganz ähnlich hatte sich gestern auch Ameni gegen ihre Geschichten gewehrt. Möglicherweise waren sich Vater und Sohn ähnlicher, als beiden lieb war.
    »Ich suche deinen Sohn«, sagte Mina. »Ist Ameni zu Hause?«
    »Das musst du schon seine Mutter fragen, und ob die es dir sagen kann, wissen die Götter allein. Und jetzt lass mich endlich in Ruhe nachdenken!
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