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Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes
Autoren: Brigitte Riebe
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bedrängt, niemals zur Eile gezwungen. Klug, wie Chai nun einmal war, wusste er längst, dass seine Worte in der Stille ihr Werk verrichteten; dass sie Minas Herz längst erreicht hatten. Sie hatte ihn schon lange sehr gern gehabt, bevor sie anfing, ihn zu lieben, und als er sie eines Abends endlich fragte, ob sie seine Frau werden wolle, war die Antwort ganz einfach gewesen.
    Er hatte geweint, als sie ihn anschließend impulsiv umarmte.
    »Wir werden eine Familie sein«, sagte er unter Tränen. »Und du wirst deine Entscheidung niemals bereuen müssen, meine Mina, das verspreche ich dir!«
    Blicklos starrte sie nun in die Dunkelheit, die sich inzwischen über den Fluss und das Land gesenkt hatte, und merkte nicht einmal, dass Iset schweigend den halb vollen Napf abräumte und sich dann leise in ihr Zimmer verzog. Eine ganze Weile saß Mina weiter am Tisch, völlig im Damals versunken.
    Sie hatte zunächst nicht wahrhaben wollen, dass Chai immer magerer und schwächer wurde. Und sogar diese trockene Hitze, die er ausstrahlte, war ihr anfangs nicht besonders gefährlich vorgekommen. Viel zu spät hatten sie schließlich einen Heilkundigen konsultiert, der nach der Untersuchung bedenklich den Kopf wiegte und Chai als Medizin die mit Wein zermörserte Wurzel des Kokkelstrauches verabreichte, ein widerliches, holziges Zeug, das er nur mit größter Anstrengung hinunterbrachte.
    Es folgte eine kurze, trügerische Phase der Besserung; dann kehrte das Fieber in wütenden Schüben zurück, heftiger als jemals zuvor. Es fraß ihn von innen her auf, so war es ihr vorgekommen; verbrannte seine Eingeweide wie lange in der Sonne getrockneten Dung. Und bevor sie sich noch richtig versah, waren Chais Augen gläsern geworden, und ihr saß bereits ein fetter Balsamierer gegenüber, der den Leichnam abholte, um ihn für das Haus der Ewigkeit zu präparieren.
    Selbst da hatte er sie nicht verlassen, noch immer nicht.
    Oftmals hörte sie in der Folgezeit seine Stimme im Nebenzimmer, sprang auf, um zu ihm zu gehen, wie sie es so oft getan hatte, besann sich jedoch und hielt auf der Schwelle inne. Nach einem halben Jahr schließlich war die Stimme verstummt.
    Jetzt erst war Chai für sie wirklich tot, und sie war allein, so oft sie auch sein Grab in der Nekropole besuchte.
    Jetzt stand sie tief in Gedanken auf und ging langsam in ihr Zimmer. Iset hatte dort fürsorglich mehrere Öllampen entzündet, die den Raum erleuchteten, als habe sie gespürt, wie lebendig die Geister der Vergangenheit geworden waren. Eine bunte gewebte Decke lag über dem Bett, einem ordentlichen Gestell mit vier geschnitzten Beinen statt der üblichen einfachen Matte auf dem Boden. Im Zimmer standen auch verschieden große geflochtene Körbe, in denen die Kleider aufbewahrt wurden, und sogar zwei dunkle Holztruhen für die Festtagsgewänder. Alles war sauber und aufgeräumt, alles sah einladend und heimelig wie immer aus. Und dennoch erschienen Mina die vertrauten Wände heute eng und bedrückend.
    Sie schob die Türe auf und ging hinaus in den nächtlichen Garten, ein weiteres Privileg, das sie ihrem bienenfleißigen Mann verdankte. Nur wenige Privathäuser der Stadt besaßen einen Garten; nichts fehlte, weder Zypressen und Schatten spendende Sykomoren, deren süße Früchte der Göttin Hathor geweiht waren, noch duftende Blumenbeete, auf denen roter Mohn, gelbe Alraunen und blaue Kornblumen wuchsen. Es gab sogar einen künstlich angelegten Teich mit Lotosblüten, den Chai besonders geliebt hatte. Als hätte Iset geahnt, dass sie den Teich heute noch aufsuchen würde, flackerten auch hier ein paar Öllämpchen in der Abendbrise.
    Sie zog ihr Gewand aus und ließ sich ins Wasser gleiten. Der kleine See war nicht groß genug, um richtig schwimmen zu können, aber für eine Abkühlung gerade recht. Sie schloss die Lider und überließ sich der nächtlichen Frische des Wassers, als ein Zischen sie plötzlich auffahren ließ.
    Erschrocken riss sie die Augen auf.
    Direkt über ihrem Kopf hatte sich eine Kobra aufgerichtet, die sie bedrohlich fixierte. Minas Puls begann zu rasen. Schlangen hasste und fürchtete sie wie kaum andere Lebewesen. Und jetzt auch noch eine Speikobra, die dunklen Schuppen waren unverwechselbar. Chai hatte sie vor diesen gefährlichen Reptilien bei einem ihrer seltenen Ausflüge gewarnt. Eine einzige falsche Bewegung - und die Schlange würde ihr das Gift in die Augen spritzen und sie für immer erblinden lassen.
    Sie blieb regungslos, obwohl sie
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