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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford
Autoren: Dorothy L. Sayers
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zwischen diesen alten, ehrwürdigen Gebäuden einzunehmen, die der Universität zur Ehre gereichten. Im Namen des Kanzlers der Universität Oxford enthülle er jetzt die Uhr. Seine Hand griff nach der Schnur; ein Ausdruck gespannter Besorgnis trat in das Gesicht der Dekanin und löste sich zu einem breiten, triumphierenden Lächeln auf, als das Tuch ohne peinliche Panne herunterkam; die Uhr war enthüllt, und ein paar kühne Geister applaudierten; die Rektorin dankte in einer kurzen, wohlgesetzten Rede dem Vizekanzler für sein liebenswürdiges Kommen und seine freundlichen Worte; der goldene Zeiger der Uhr rückte weiter, und ein sanfter Ton verkündete die Viertelstunde. Ein Seufzer der Befriedigung ging durch die Versammelten; die Prozession trat wieder an und schritt durch den Torbogen zurück, und die Feier war glücklich zu Ende.
    Harriet, die im Gedränge folgte, entdeckte zu ihrem Entsetzen, daß Vera Mollison wieder neben ihr aufgetaucht war und soeben sagte, ihrer Meinung nach müßten alle Kriminalschriftsteller ein großes persönliches Interesse an Uhren haben, da doch so viele Alibis sich um Uhren und Zeitzeichen drehten. An der Schule, an der sie unterrichte, habe es einmal einen merkwürdigen kleinen Zwischenfall gegeben; sie finde, das sei ein hervorragendes Thema für einen Detektivroman – für jemanden, der so klug sei, sich so etwas auszudenken. Sie habe sich darauf gefreut, Harriet wiederzusehen und ihr davon zu erzählen. Und damit baute sie sich in beträchtlicher Entfernung von den Büffettischen auf dem Rasen auf und begann von dem merkwürdigen Vorfall zu berichten, der einiger vorausgehender Erklärungen bedurfte. Ein Hausmädchen kam mit einem Tablett voller Teetassen. Harriet nahm sich rasch eine und wünschte sofort, sie hätte das nicht getan, denn die Tasse hinderte sie an schneller Bewegung und schien sie bis in alle Ewigkeit hier bei Vera Mollison festzunageln. Dann erblickte sie mit warmer Dankbarkeit Phoebe Tucker. Die gute Phoebe hatte sich überhaupt nicht verändert. Harriet entschuldigte sich hastig bei Vera Mollison, sagte, sie möchte in einem ruhigeren Moment die Uhrengeschichte unbedingt zu Ende hören, schob sich durch einen Wald von Talaren und rief: «Hallo!»
    «Ja?» machte Phoebe. «Ach, du bist es. Gott sei Dank! Ich dachte schon, außer Trimmer und dieser schrecklichen Mollison ist überhaupt niemand von unserm Jahrgang hier. Komm, wir holen uns ein paar Sandwichs; sie sind recht gut, so unglaublich es klingt. Wie geht’s dir denn so? Alles bestens?»
    «Nicht schlecht.»
    «Jedenfalls machst du gute Sachen.»
    «Du auch. Komm, wir suchen uns irgendwo einen Platz zum Hinsetzen. Ich möchte gern etwas über deine Ausgrabungen hören.»
    Phoebe Tucker hatte Geschichte studiert und einen Archäologen geheiratet, und die Kombination schien bemerkenswert gut zu klappen. Sie gruben in vergessenen Winkeln der Erde alte Knochen und Steine und Gefäße aus, schrieben Abhandlungen darüber und hielten Vorträge vor der Gelehrtenwelt. Irgendwann dazwischen hatten sie ein fröhliches Kindertrio in die Welt gesetzt, das sie ohne Umstände bei den beglückten Großeltern abzuliefern pflegten, bevor sie wieder zurück zu ihren Knochen und Steinen eilten.
    «Also, wir sind gerade erst von Ithaka zurück. Bob ist ganz aus dem Häuschen wegen ein paar neuer Begräbnisstätten und hat eine völlig neue, revolutionäre Theorie über Begräbnisriten aufgestellt. Er schreibt an einem Aufsatz, in dem er allen Schlußfolgerungen des alten Lambard widerspricht, und ich helfe ihm, indem ich seine Adjektive etwas abschwäche und mildernde Fußnoten einflicke. Ich meine, Lambard mag ja ein verschrobener alter Trottel sein, aber es ist würdevoller, das nicht mit ganz so vielen Worten zu sagen. Eine höfliche, tödliche Nettigkeit ist viel vernichtender, findest du nicht auch?»
    «Unbedingt.»
    Hier hatte sie immerhin jemanden gefunden, der sich keinen Deut geändert hatte, den verflossenen Jahren und der Ehe zum Trotz. Harriet war ganz in der Stimmung, sich darüber zu freuen. Nachdem das Thema der Begräbnisriten ausgiebig erschöpft war, erkundigte sie sich nach der Familie.
    «Na ja, die Kinder fangen an, uns Spaß zu machen. Richard – das ist der älteste – ist ganz begeistert von den Begräbnisstätten. Seine Großmutter war erst neulich wieder sehr schockiert, als sie ihn dabei erwischte, wie er mit einer Engelsgeduld und nach allen Regeln der Kunst den Abfallhaufen des Gärtners
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