Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford
Autoren: Dorothy L. Sayers
Vom Netzwerk:
Wohnhäuser erinnernd, in denen die ersten schüchternen Studentinnen des Shrewsbury College einst gewohnt hatten. Vorn standen die Bäume des Jowett Walk, und dahinter ragten die alten Giebel und der Turm des New College empor, von seinen Dohlen umkreist, die sich von einem stürmischen Himmel abhoben.
    Ihre Erinnerung belebte den Hof mit Gestalten. Paarweise schlenderten Studentinnen dahin; andere eilten in die Vorlesung, die Talare eilig über leichte Sommerkleider geworfen, die Barette vom Wind gezaust, daß sie Narrenkappen ähnelten. In die Pförtnerloge waren Fahrräder eingestellt, die Gepäckträger hoch beladen mit Büchern, die Lenkstangen mit Talaren umwickelt. Eine angegraute Professorin schritt verträumten Blickes über den Rasen, die Gedanken auf philosophische Fragen des sechzehnten Jahrhunderts gerichtet, mit wehenden Talarärmeln, die Schultern leicht nach vorn gezogen, wie um das nach hinten ziehende Gewicht der Popelinfalten ihrer akademischen Tracht auszugleichen. Zwei Studenten auf der Suche nach einem Repetitor, barhäuptig, Hände in den Hosentaschen, in lautem Gespräch über Boote. Die Rektorin – grau und würdevoll – und die Dekanin – untersetzt, lebhaft, vogelartig, ein kleiner Zeisig – in angeregtem Gespräch unter dem Torbogen, der in den Alten Hof führte. Hohe Ritterspornstauden vor dem Grau der Mauern, blau schillernd wie Flammen, wenn es so blaue Flammen je gab. Die Collegekatze, gedankenverloren und stolz, mit hocherhobenem Schwanz auf dem Weg zur Kantine.
    Es war ja alles so lange her; so fest verpackt und abgeschlossen; so wie mit Schwertern abgetrennt durch die bitteren Jahre, die dazwischen lagen. Konnte sie sich dem allem jetzt stellen? Was würden diese Frauen über sie sagen, über Harriet Vane, die mit einer Eins in Englisch abgeschlossen hatte und nach London gegangen war, um Kriminalromane zu schreiben, dort mit einem Mann zusammengelebt hatte, mit dem sie nicht verheiratet war, und sich für seine Ermordung in einem aufsehenerregenden Prozeß vor Gericht hatte verantworten müssen? Dies war keine Karriere, wie sie das Shrewsbury College von seinen ehemaligen Studentinnen erwartete.
    Sie war nie mehr zurückgegangen; zuerst nur, weil sie den Ort zu sehr geliebt hatte und eine glatte Trennung ihr besser schien als ein langsames, schmerzhaftes Sich-los-Reißen; auch weil sie nach dem Tod ihrer Eltern völlig mittellos dastand und der Kampf ums tägliche Brot all ihre Zeit und Gedanken in Anspruch nahm. Und dann war später der schwarze Schatten des Galgens zwischen sie und dieses sonnenbeschienene, grau-grüne Viereck gefallen. Aber jetzt –?
    Sie nahm den Brief von neuem zur Hand. Es war eine dringliche Bitte an sie, an der Jahresfeier des Shrewsbury College teilzunehmen – eine Bitte von der Art, die man nicht gut ausschlagen kann. Eine Freundin, die sie seit ihrer gemeinsamen Studienzeit nicht mehr gesehen hatte; inzwischen verheiratet und ihr entfremdet, jetzt aber krank, und bevor sie sich zu einer schwierigen und gefährlichen Operation ins Ausland begab, wollte sie Harriet unbedingt noch einmal wiedersehen.
    Mary Stokes, so hübsch und zierlich wie Miss Patty in dem Schauspiel, das sie nach dem zweiten Studienjahr aufgeführt hatten; so charmant und vollendet in ihrem Auftreten, so sehr der gesellschaftliche Mittelpunkt ihres Jahrgangs. Sonderbar, daß gerade sie sich so stark zu Harriet Vane hingezogen gefühlt hatte, die in ihrer Schroffheit und Ungeschicklichkeit alles andere als beliebt gewesen war. Mary war die Führende gewesen, und Harriet hatte sich führen lassen: Wenn sie mit einem Erdbeerproviant und Thermosflaschen bewaffnet den Cherwell hinaufstakten; wenn sie am ersten Mai vor Sonnenaufgang auf den Magdalen-Turm stiegen und fühlten, wie er mit den Glocken unter ihnen schwang; und wenn sie bei Kaffee und Pfefferkuchen bis spät in die Nacht am Feuer saßen, war es stets Mary gewesen, die in den langen Diskussionen über Liebe und Kunst, Religion und Bürgerrechte das Wort führte. Mary war nach Ansicht aller ihrer Freundinnen eine klare Einserkandidatin; nur die dummen und undurchschaubaren Professorinnen waren nicht überrascht, als dann die Prüfungsergebnisse kamen und Harriets Name unter den Einsern stand, Marys aber erst unter den Zweiern. Und später hatte Mary dann geheiratet, und man hatte kaum noch etwas von ihr gehört; nur daß sie sich geradezu krankhaft an das College klammerte und kein Ehemaligentreffen und keine Jahresfeier
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher