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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford
Autoren: Dorothy L. Sayers
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ausließ. Harriet dagegen hatte alle alten Bande hinter sich zerrissen und die Hälfte aller Gebote gebrochen, ihren Ruf durch den Schmutz gezogen und Geld verdient; sie hatte den ebenso reichen wie amüsanten Lord Peter Wimsey zu Füßen liegen und konnte ihn jederzeit heiraten, wenn sie nur wollte, und sie steckte voll Energie und Bitterkeit und genoß die Ungewissen Früchte des Ruhms. Prometheus und Epimetheus hatten scheint’s die Rollen getauscht; doch für den einen war die Büchse mit den Übeln, für den ändern der nackte Felsen und der Geier; und nie mehr, glaubte Harriet, würden sie sich auf gemeinsamem Boden treffen können.
    «Aber mein Gott», dachte Harriet, «ich will kein Feigling sein! Ich gehe hin und basta. Schlimmer, als man mir weh getan hat, kann mir nichts mehr weh tun. Und was macht es schließlich aus?»
    Sie füllte die Antwortkarte aus, adressierte sie, knallte eine Briefmarke darauf und lief schnell nach unten, um sie in den Briefkasten zu werfen, bevor sie es sich doch noch anders überlegte.
    Sie kam langsam durch die Parkanlage zurück, stieg die steinerne Adam-Treppe zu ihrer Wohnung hinauf, kam dort nach fruchtloser Durchsuchung eines Kleiderschranks wieder heraus und stieg weiter hinauf zum Speicher. Sie schleifte eine alte Truhe auf den Gang, schloß sie auf und klappte den Deckel hoch. Ein dumpfer, kalter Geruch. Bücher. Ausrangierte Kleidung. Alte Schuhe. Alte Manuskripte. Eine verblaßte Krawatte, die einmal ihrem verstorbenen Liebhaber gehört hatte – wie schrecklich, daß die noch hier herumlag! Sie wühlte sich bis auf den Boden durch und zerrte ein dickes schwarzes Bündel ans staubdurchtanzte Sonnenlicht. Der Talar, nur einmal getragen, als sie ihren Magister Artium bekam, hatte durch die lange Verbannung nicht gelitten: die steifen Falten wiesen fast keine Knitterspuren auf. Die rote Seide des Überwurfs leuchtete tapfer. Nur das Barett war leicht vom Mottenzahn gezeichnet. Als sie die losen Fusseln davon abklopfte, flatterte ein kleiner Nesselfalter, aus seinem Winterschlaf unter dem Truhendeckel gerissen, in das helle Licht des Fensters und verfing sich dort in einem Spinnennetz.
     
    Harriet war froh, daß sie sich inzwischen ein eigenes kleines Auto leisten konnte. Dadurch würde ihr Einzug in Oxford sie nicht an ihre früheren Ankünfte mit der Eisenbahn erinnern. Noch ein paar Stunden länger konnte sie das wimmernde Gespenst ihrer toten Jugend ignorieren und sich einreden, sie sei eine Fremde, eine Durchreisende, eine wohlhabende Frau mit einer Stellung in der Welt. Die heiße Landstraße blieb hinter ihr zurück. Ortschaften wuchsen aus der grünen Landschaft, drängten sich dicht an sie heran mit ihren Wirtshausschildern und Tankstellen, ihren Läden und Polizeistationen und Kinderwagen, wirbelten hinter sie zurück und waren vergessen. Der Juni ging inmitten von Rosen dem Ende entgegen, und die Hecken verdunkelten sich zu einem stumpferen Grün; das aufdringliche Rot der Ziegelbauten entlang der Landstraße mahnte sie daran, daß die Gegenwart unerbittlich die leeren Felder der Vergangenheit verbaute. In High Wycombe nahm sie in aller Ruhe ein kräftiges Mittagessen zu sich, bestellte dazu eine halbe Flasche Weißwein und gab der Kellnerin ein großzügiges Trinkgeld. Sie wollte sich so deutlich wie möglich von der vormaligen jungen Studentin unterscheiden, die sich im Schatten eines Waldweges mit einem Packen Butterbrote und einer Thermosflasche Kaffee hätte begnügen müssen. Wenn man älter wurde, sicherer in seiner Persönlichkeit, bekam man wieder mehr Geschmack an äußeren Formen. Ihr Kleid für das Gartenfest, passend zu ihrer akademischen Tracht gewählt, lag säuberlich zusammengefaltet im Koffer. Es war lang und schlicht, aus glatter schwarzer Georgette und von untadeliger Korrektheit. Darunter lag fürs Festbankett ein Abendkleid aus sattem Petunienrot, von ausgezeichnetem, aber dezentem Schnitt, der nicht ungehörig viel Brust oder Rücken zeigte; damit würde sie sicher nicht die Porträts toter Rektorinnen beleidigen, die von den allmählich verblassenden Eichentäfelungen des großen Speisesaals blickten.
    Headington. Sie war jetzt sehr nah, und trotz allem krampfte ihr ein kaltes Unbehagen den Magen zusammen. Headington Hill, wo man so oft sein klappriges Fahrrad mühsam hinaufgeschoben hatte. Jetzt kam er einem lange nicht mehr so steil vor, wenn man hinter vier rhythmisch pulsierenden Zylindern sittsam hier hinunterfuhr; aber jedes
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