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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford
Autoren: Dorothy L. Sayers
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– ich hätte nicht kommen sollen. Mary ist ja ein liebes Ding, das war sie schon immer, und es ist so rührend, wie sie sich freut, mich wiederzusehen, aber wir haben uns nichts mehr zu sagen. Und jetzt werde ich sie immer so in Erinnerung behalten, wie sie heute ist, mit diesem abgehärmten Gesicht und dem geschlagenen Ausdruck. Und sie wird mich in Erinnerung behalten, wie ich bin – verhärtet. Sie hat gesagt, ich sehe erfolgreich aus, und ich weiß, was das heißt.»
    Sie war froh, daß Betty Armstrong und Dorothy Collins alles Reden besorgten. Die eine von ihnen war eine vielbeschäftigte Hundezüchterin; die andere führte einen Buchladen in Manchester. Sie waren offenbar miteinander in Verbindung geblieben, denn sie sprachen über Dinge, nicht über Menschen, wie es eben Leute tun, die lebendige gemeinsame Interessen haben. Mary Stokes (jetzt Mary Attwood) schien von ihnen isoliert durch Krankheit, durch Ehe, durch – es hatte keinen Sinn, vor der Wahrheit die Augen zu verschließen – durch eine Art geistigen Stillstand, der nichts mit ihrer Krankheit und nichts mit ihrer Ehe zu tun hatte.
    «Ich nehme an», dachte Harriet, «daß sie eines dieser kleinen Eintagsgehirne hatte, die früh erblühen und in Samen schießen. Da ist sie nun, meine vertraute Freundin von einst, und spricht zu mir mit einer geradezu peinlich bewundernden Höflichkeit über meine Bücher. Und ich spreche zu ihr mit peinlich bewundernder Höflichkeit über ihre Kinder. Wir hätten uns nicht wiedersehen sollen. Es ist einfach unerfreulich.»
    Dorothy Collins unterbrach sie in ihren Gedanken, indem sie ihr eine Frage nach Verlagsverträgen stellte, deren Beantwortung sie über die Zeit rettete, bis sie auf den Hof hinaustraten. Auf dem Weg kam ihnen eine resolute Gestalt entgegengeeilt und hielt mit einem Begrüßungsruf mitten im Schritt inne.
    «Nanu, das ist ja Miss Vane! Wie schön, Sie nach so langer Zeit einmal wiederzusehen.»
    Harriet ließ sich dankbar von der Dekanin entführen, zu der sie schon immer eine sehr große Zuneigung gehabt und die ihr damals freundliche Worte geschrieben hatte, als aufmunternde Freundlichkeit ihr mehr hatte helfen können als alles andere auf der Welt. Die andern drei wußten, was die Achtung vor der Autorität ihnen gebot, und gingen weiter; sie hatten der Dekanin schon im Laufe des Tages ihren Respekt erwiesen.
    «Wie schön, daß Sie kommen konnten!»
    «Ziemlich mutig von mir, nicht wahr?» meinte Harriet.
    «Ach, so ein Unsinn!» antwortete die Dekanin. Sie legte den Kopf schief und musterte Harriet mit glänzenden Vogelaugen.
    «Sie dürfen an das alles nicht mehr denken. Kein Mensch kümmert sich heute noch darum. Wir sind nicht annähernd so ausgetrocknete Mumien, wie Sie glauben. Schließlich ist die Arbeit, die Sie leisten, das einzige, was wirklich zählt, nicht wahr? Übrigens kann die Rektorin es kaum erwarten, Sie zu sehen. Sie war so begeistert von Sand des Verbrechens. Sehen wir mal, ob wir sie noch erwischen, bevor der Vizekanzler eintrifft … Was sagen Sie zum Aussehen von Stokes – ich meine Attwood? Ich kann mir ihre neuen Namen einfach nicht merken.»
    «Ziemlich elend, finde ich», sagte Harriet. «Im Grunde bin ich ja nur ihretwegen hierhergekommen, aber ich fürchte jetzt, es wird nicht sehr erfreulich.»
    «Aha!» sagte die Dekanin. «Wahrscheinlich in der Entwicklung stehengeblieben, wie? Sie war mal Ihre Freundin – aber ich fand schon immer, daß sie einen Verstand hatte wie ein eintägiges Küken. Sehr altklug, aber kein Stehvermögen. Trotzdem hoffe ich, daß man sie wieder hochbringt … Mein Gott, dieser Wind – ich kann mein Barett nicht auf dem Kopf halten. Ihres hält erstaunlich gut; wie machen Sie das? Und ich sehe, daß wir beide Dunkel tragen, wie sich’s gehört. Haben Sie Trimmer in diesem entsetzlichen Kleid gesehen? – Wie ein kanariengelber Lampenschirm!»
    «Ach, Trimmer war das? Was treibt sie eigentlich?»
    «Du lieber Gott! Sie hat sich auf psychologische Heilkunst verlegt, Freude und Liebe und so weiter … Ah, ich hab mir doch gedacht, daß wir die Rektorin hier finden.»
    Das Shrewsbury College hatte stets Glück mit seinen Rektorinnen gehabt. In den Anfangstagen hatte eine Frau von Rang sein Ansehen gehoben; in der schwierigen Zeit des Kampfes um akademische Abschlüsse für Frauen hatte es eine Diplomatin an der Spitze gehabt; und jetzt, nachdem es in die Universität eingegliedert worden war, sorgte eine Persönlichkeit für ein
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