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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Emailüberzug gutgetan, und die Korkmatte hatte auch schon bessere Tage gesehen.
    Nach dem Bad fühlte Harriet sich schon viel wohler. Wieder hatte sie das Glück, auf dem Rückweg zu ihrem Zimmer niemandem zu begegnen, den sie kannte. Sie war nicht in der Stimmung für erinnerungsseligen Klatsch im Bademantel. An der Tür zum vorletzten Zimmer vor dem ihren las sie den Namen «Mrs. H. Attwood». Die Tür war zu, und darüber war sie froh. An der nächsten Tür stand kein Name, doch als Harriet vorbeiging, drehte von drinnen jemand am Türknauf, und die Tür bewegte sich langsam. Harriet huschte rasch vorbei und brachte sich in Sicherheit. Sie hatte ganz lächerliches Herzklopfen.
    Das schwarze Kleid paßte wie angegossen. Es hatte eine kleine viereckige Passe und lange, schmale Ärmel, durch Rüschen aufgelockert, die fast bis zu den Fingerknöcheln reichten. Es betonte ihre Figur bis zur Taille und fiel von da lose zum Boden, wodurch es ein wenig an die Mode des Mittelalters erinnerte. Der Stoff war matt und trat so hinter dem sanften Schimmer der akademischen Tracht zurück. Harriet zog die schweren Falten des Talars ein wenig über die Schultern nach vorn, so daß das strenge Vorderteil glatt wie eine Stola nach unten fiel. Mit dem Überwurf hatte sie gewisse Schwierigkeiten, bevor ihr wieder einfiel, wie man ihm am Hals den richtigen Dreh gab, so daß die rote Seide nach außen zeigte. Sie steckte ihn unsichtbar an der Brust fest, so daß er unverrückbar in der richtigen Lage blieb – eine schwarze und eine rote Schulter. Gebückt vor dem unzulänglichen Spiegel stehend (die jetzige Bewohnerin des Zimmers mußte recht klein sein), drückte sie sich das weiche Barett flach und gerade auf den Kopf, so daß die Spitze über der Mitte der Stirn herunterklappte. Im Spiegel sah sie ihr Gesicht ziemlich blaß, mit schwarzen, eckigen Brauen rechts und links von einer kräftigen, für gängige Schönheitsideale etwas zu breiten Nase. Ihre Augen starrten ihr aus dem Glas entgegen – ein wenig müde, ein wenig trotzig –, Augen, die schon Angst gesehen hatten und noch immer argwöhnisch dreinblickten. Der Mund verriet einen Menschen, der freigebig gewesen war und die Freigebigkeit bereut hatte; die weit auseinanderstehenden Winkel waren nach hinten gezogen, wie um nichts preiszugeben. Nachdem das dichte, wellige Haar unter dem schwarzen Tuch steckte, wirkte das Gesicht gleichsam entblößt, wie zur Tat bereit. Harriet betrachtete sich stirnrunzelnd und fuhr ein paarmal mit den Händen den Talar hinauf und hinunter; dann drehte sie sich, allmählich ungehalten über den Spiegel, zum Fenster und blickte hinaus auf den Innenhof, der auch Alter Hof hieß. Es war eine rechteckige Grünanlage, um die sich die Collegegebäude gruppierten. An einem Ende des Rasens waren unter schattenspendenden Bäumen Tische und Stühle aufgestellt. Gegenüber zeigte der fast fertige Flügel der neuen Bibliothek sein nacktes Gebälk inmitten eines Waldes von Baugerüsten. Eine Gruppe von Frauen überquerte den Rasen; Harriet sah mit einer leichten Verärgerung, daß die meisten ihre Barette schlecht auf dem Kopf sitzen hatten, und eine hatte sogar die Ungeschicklichkeit besessen, ein zitronengelbes Kleid mit Musselinrüschen anzuziehen, das unter dem Talar sehr unpassend wirkte.
    «Obwohl diese leuchtenden Farben ja durchaus etwas Mittelalterliches haben», dachte sie. «Und die Frauen sind jedenfalls nicht schlimmer als die Männer. Einmal habe ich doch den alten Hammond in der Prozession zum Stiftungsfest im Talar eines Doktors der Musik, einem grauen Flanellanzug darunter, braunen Schuhen und einer blauen, getüpfelten Krawatte gesehen, und niemand hat etwas darüber gesagt.»
    Sie mußte plötzlich lachen und fühlte sich zum erstenmal wieder voll Zuversicht.
    «Das können sie mir jedenfalls nicht nehmen. Was ich seitdem auch getan habe, dies bleibt: Studium, Magister Artium, Domina, Seniorin dieser Universität (statutum est quod Juniores Senioribus debitam et congruam reverentiam tum in privato tum in publico exhibeant); ich habe eine Stellung im Leben erreicht, die mir niemand streitig machen kann und der man Achtung entgegenzubringen hat.»
    Sie verließ festen Schrittes ihr Zimmer und klopfte an die übernächste Tür.
     
    Die vier Frauen gingen zusammen durch den Garten – langsam, weil Mary krank war und nicht schnell gehen konnte. Und während sie so gingen, dachte Harriet:
    «Es war ein Fehler – es war ein großer Fehler
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