Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufgedirndlt

Aufgedirndlt

Titel: Aufgedirndlt
Autoren: Jörg Steinleitner
Vom Netzwerk:
tödlichen Wirkung auf alle in dem staubigen Raum wohnhaften Insekten im wahrsten Sinne atemberaubend war: Es stank derart nach Chemie, dass sogar der eher unempfindliche Nonnenmacher befahl, die Fenster zum Lüften zu öffnen. Binnen Sekunden waren neue Fliegen im Raum, und der knickrige Allgäuer Schmiedle maulte wegen der Sprayverschwendung herum: »Der hot fei einsneinaneinzig koschtet.« Doch dann verstummte auch er, weil Sebastian Schönwetter mit seiner Kripomannschaft den Raum betrat und dem Rechtsmediziner das Wort erteilte.
    Allerdings war das, was dieser zu berichten hatte, nichts weniger als eine Hiobsbotschaft, und zwar vor allem für Anne Loop, Sepp Kastner und Kurt Nonnenmacher: Die DNA keines einzigen Verdächtigen, der zum Test gebeten worden war, stimmte mit derjenigen überein, welche der Arzt in der Vagina von Madleen Simon sichergestellt hatte.
    »Das gibt’s ja nicht!«, platzte es aus Nonnenmacher heraus. »Nicht einmal die vom Scheich ist gleich?«
    »Nein«, stellte der Arzt kategorisch fest.
    »It amol a bissle?«, wollte Schmiedle wissen.
    Ohne auf die Ausrufe des Erstaunens einzugehen, wandte sich Schönwetter mit ernster Stimme an Anne. »Da muss ich Sie jetzt natürlich schon einmal fragen, Frau Loop, wie Sie das rechtfertigen können. Ein Gentest ist ein massiver Eingriff in die Privatsphäre der Verdächtigen!« Anne wurde rot. Zum ersten Mal in ihrer Laufbahn hatte sie mit einer Entscheidung vollkommen falsch gelegen. »Hinzu kommt, dass wir seit bald zwei Wochen einen Mann in U-Haft halten, der offensichtlich mit dem Todesfall rein gar nichts zu tun hat.«
    »Aber mir haben den Wax doch nicht bloß wegen der Mordsache eingesperrt«, sprang Kastner seiner Kollegin bei. »Sondern weil bei dem zusätzlich höchster Korruptionsverdacht besteht. Der ist doch geschmiert worden vom Araber, und das nicht wenig!«
    »Herr Wax ist umgehend freizulassen«, befahl Schönwetter, der nun gar nichts mehr von seiner surflehrerhaften Lockerheit an sich hatte, sondern nun ganz der strenge Vorgesetzte aus der Stadt war, der vermutlich selbst von oben gewaltig Druck bekam.
    So kurz wie diese war selten eine Besprechung ausgefallen, seit das Verbrechen das Tal heimgesucht hatte. Alle Teilnehmenden waren froh, den noch immer nach kroatischem Mückengift stinkenden Raum verlassen und sich in ihr Dienstzimmer zurückziehen zu dürfen. Keiner fühlte sich wohl.
    Am schlimmsten aber ging es Anne. Letztlich trug sie die Verantwortung für diesen völlig überflüssigen Gentest. Und die junge Polizistin ahnte, dass es nicht lange dauern würde, bis höchste Stellen – vom Polizeipräsidenten aufwärts – sie direkt rügen würden. Schließlich hatte man mit dieser Aktion nicht irgendwelche unbedeutenden Personen eines Sexualverbrechens verdächtigt, sondern einen arabischen Monarchen vom Rang eines Königs, zudem einen weltbekannten Schlagerstar und einen zumindest bislang als unbescholten geltenden, angesehenen Bürgermeister. Derartige Vorkommnisse waren üblicherweise nicht nur ein gefundenes Fressen für die Boulevard-Medien, sondern konnten auch zu diplomatischen Verwerfungen, mithin zu Kriegen führen.
    Ratlos starrte Anne auf die Blätter mit den DNA-Sequenzen, die sie sich von Schönwetter hatte aushändigen lassen und die nun ausgebreitet vor ihr auf dem Bürotisch lagen. Gab es nicht vielleicht doch eine Ähnlichkeit zwischen den Genstrukturen der Verdächtigen und den Spermaspuren in der Vagina des Opfers? Eine Ähnlichkeit, die die Wissenschaftler einfach nur übersehen hatten?
    »Jetzt hör doch mal auf mit diesem Scheiß!«, fuhr Anne ihren Kollegen Sepp Kastner an, der noch immer mit seiner Dienstwaffe herumfuhrwerkte, als gälte es, sich auf einen Einsatz in Afghanistan vorzubereiten. Aber Kastner war wie paralysiert und klickte und klackte ungerührt weiter. Denn auch ihm war klar, dass ihnen mit diesem niederschmetternden DNA-Ergebnis alle Felle davongeschwommen waren, und zwar nicht im gemütlichen Tempo der Mangfall, sondern mindestens in Lichtgeschwindigkeit. Und auch wenn es Anne war, die die Hauptverantwortung für die ganze Aktion trug, so hing er als ihr wichtigster Helfer und Unterstützer irgendwie mit drin. Was konnten sie tun? Sollte er ihr vorschlagen, gemeinsam mit ihm durchzubrennen? Einfach alle Ersparnisse zusammenzukratzen und irgendwo anders ein neues Leben zu starten? Was wäre mit Jamaika, Bali, Feuerland?
    »Jetzt hör endlich mit diesem nervtötenden Geklacker auf!«,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher