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Aufgedirndlt

Aufgedirndlt

Titel: Aufgedirndlt
Autoren: Jörg Steinleitner
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schimpfte Anne erneut.
    Sofort stoppte Kastner sein Geschraube an der Heckler & Koch, träumte aber dennoch weiter von unendlichen Sandstränden und dem mit sanftem Wellenschlag darauf brandenden türkisfarbenen Meer. Die Sonne schien, und er baute eine Sandburg, während Anne ihm dabei zusah und aus einer Kokosnuss trank. In seiner Vorstellung war ihre wunderschöne Oberlippe schon ganz weiß davon. Und Kastner wusste: Wenn die Sandburg erst einmal fertig wäre, würde er ihr die Kokosmilch von der Lippe küssen, was schmecken würde wie …
    »Ich glaub’, ich spinn’!« Mit diesem beinahe gekreischten Ausruf riss Anne den Kollegen nun endgültig aus seinen märchenhaften Gedanken. Während Kastner die ganze Kraft seiner Phantasie dazu aufgewandt hatte, um sich in eine Südseelagune zu träumen, hatte Anne ihren Blick weiter in tiefster Konzentration über die Tabellen und Diagramme gleiten lassen. Und dann war eine Art Wunder geschehen. Denn just in dem Moment, in dem ihr alles vor den Augen verschwommen war, weil es nichts zu erkennen gab auf diesen nichtsnutzigen, völlig überflüssig angefertigten DNA-Sequenzen, just in diesem Moment war ihr Blick auf ein anderes Blatt gefallen, das zufällig auch noch auf ihrem Schreibtisch lag: Es war der Zeitungsartikel, auf dem Felix für Madleen seine Handynummer notiert hatte.
    Bislang hatte Anne immer nur die Handschrift des nun nicht mehr Verdächtigen studiert und versucht, aus der Form der Schrift Schlüsse auf seinen Charakter zu ziehen. Doch nun, da ihr Blick an Konzentration verloren hatte, nahm sie plötzlich den Inhalt des Zeitungsartikels wahr: Er berichtete von einem Kriminalfall aus München.
    Dem zufolge hatte die dortige Kripo schon vor Monaten bei einem Mann, den sie wegen eines Drogendelikts verhaftet hatte, ein Handyvideo gefunden, auf dem zu sehen war, wie dieser und ein weiterer Täter sich an einer offensichtlich bewusstlosen Frau sexuell vergingen. Laut Fahndungsbericht vermutete die Polizei, dass die beiden Männer – der deutsche Student Tom Garner und der italienische Pizzabäcker Silvio Massone – ihr Opfer auf dem Oktoberfest kennengelernt, ihm heimlich K.-o.-Tropfen eingeflößt und es dann missbraucht hätten. Die Polizei suche bereits seit Monaten erfolglos nach dem Opfer, ohne dessen Aussage eine Verurteilung äußerst schwierig erscheine, las Anne wie elektrisiert. Am Ende des Berichts stand, dass die Kripo München nun erstmals die Öffentlichkeit um Hilfe bitte. Dies auch, weil man die Männer – mangels Opfer und erhärteter Hinweise – kürzlich aus der Untersuchungshaft habe entlassen müssen.
    »Das ist es!«, rief Anne mit einer Bestimmtheit, wie Kastner sie an ihr noch nie beobachtet hatte. »Die waren es, da bin ich mir sicher, hundertprozentig!«
    Kastner legte seine Waffe beiseite und rannte um den Tisch herum zum Platz seiner Kollegin. Nachdem auch er den Bericht gelesen hatte, meinte er nachdenklich: »Könnte schon sein. Von der Entfernung her wäre es denkbar. Von München hierher sind’s bloß fünfzig Kilometer. Und ob Seefest oder Oktoberfest, das ist g’hupft wie g’schprungen.«
    »Ein Täter, der Erfolg mit einem Tatkonzept in München hat, der kann durchaus auf die Idee kommen, das Ganze auch hier bei uns am See auszuprobieren«, fügte Anne hinzu. Sie war wie elektrisiert. Mit einem Ruck schob sie ihren Stuhl vom Tisch weg und sprang auf. »Los, wir müssen handeln!«
    »Aber wie?«, fragte Kastner, auch er war plötzlich ganz nervös. »Was müssen mir als Erstes tun? Was als Zweites?«
    »Die Kollegen in München«, erwiderte Anne aufgeregt. »Wir brauchen die Kollegen in München. Wir müssen herausfinden, ob diese zwei Typen noch im Land sind. Sonst hauen die uns noch ab!«
    Dann ging alles sehr schnell. Denn wie sich herausstellte, war es der Münchner Kripo bislang tatsächlich nicht gelungen, den Studenten Tom Garner und den Pizzabäcker Silvio Massone zu überführen. Es klang verrückt, aber das Mädchen, das die beiden missbraucht hatten, hatte sich noch immer nicht gemeldet. Zuerst hatten die Kripobeamten über alle Medienkanäle mögliche Tatzeugen des Wiesn-Verbrechens dazu aufgerufen, sich zu melden. Als hierauf keine verwertbaren Hinweise eingetroffen waren, war man schweren Herzens sogar so weit gegangen, Bilder der bewusstlosen missbrauchten Frau zu veröffentlichen. Aber auch dieser extreme Schritt hatte nicht dazu geführt, dass sich das Opfer oder jemand, der es kannte, an die Ermittler
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