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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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mein armes Kind, was bist du doch für ein Taugenichts! Und du würdest dich wirklich mit ihr verheiraten?«
    »Gewiß!«
    »Nach alledem, was sie gewesen ist?«
    »Gerade deshalb! Bin ich nicht schuld daran?«
    »Höre: du bist doch ein richtiger Taugenichts,« erklärte die Tante weiter lächelnd, »ein richtiger Taugenichts, aber gerade darum liebe ich dich, weil du solch richtiger Taugenichts bist.«
    Sie wiederholte das Wort beständig und war jedenfalls entzückt, einen Ausdruck gefunden zu haben, der die Vorstellung, die sie sich von ihrem Neffen machte, so ausgezeichnet wiedergab.
    »Aber das trifft sich ja wunderbar. Aline hat gerade ein Asyl für büßende Magdalenen eröffnet. Ich war neulich dort, gräßlich! Als ich von meinem Besuch nach Hause kam, mußte ich ein Bad nehmen. Doch Aline hat sich ihrem Asyl mit Leib und Seele gewidmet; wir werden ihr deinen Zögling anvertrauen. Wenn jemand auf der Welt sie zum Guten zurückführen kann, dann ist es Aline.«
    »Ja, sehen Sie, diese Unglückliche sitzt aber im Gefängnis und soll zur Zwangsarbeit abgeführt werden. Ich bin gerade hierhergekommen, um die Annullierung ihrer Verurteilung zu versuchen. Das ist eine der zahlreichen Angelegenheiten, in denen ich Ihrer Hilfe bedarf.« »Wovon hängt ihre Angelegenheit denn ab?«
    »Vom Senat!«
    »Vom Senat? Aber mein lieber Vetter Leo sitzt doch im Senat. Ach so, ich vergaß, er ist ja in der heraldischen Abteilung. Und außer ihm kenne ich niemand im Senat. Man findet dort nur Leute, die Gott weiß woher kommen, und außerdem viele Deutsche. Leute von der andern Welt! Aber trotzdem werde ich mit meinem Manne sprechen, er kennt sie ja alle. Er kennt die ganze Welt, ich werde mit ihm sprechen. Aber du mußt ihm die Sache selbst erklären, mich würde er nie verstehen. Wenn ich ihm etwas sage, antwortet er immer, er verstehe nicht. Das ist Voreingenommenheit, aber was soll ich dagegen thun?«
    Die Gräfin wurde in ihren Mitteilungen durch den Eintritt eines Dieners unterbrochen, der ihr auf silbernem Teller einen Brief reichte.
    »Wie sich das trifft! Ein Brief von Aline! Du wirst auch Kiesewetter hören!«
    »Wer ist Kiesewetter?«
    »Kiesewetter? Komm' heute abend zu uns, dann wirst du sehen, wer es ist. Er spricht so vorzüglich, daß die verstocktesten Verbrecher sich ihm weinend und bereuend zu Füßen werfen. Ach, wenn deine Magdalena ihn hören könnte, dann würde sie sich gleich bekehren. Aber komm' sicher heute abend, du wirst ihn hören, es ist ein ganz erstaunlicher Mensch.«
    »Ja, aber, liebe Tante, diese Dinge interessieren mich nicht besonders.«
    »O doch; ich sage dir, es wird dich schon interessieren, und du wirst kommen, ich will es, hörst du? Und jetzt sage, was du noch von mir willst; schnell, krame deine Neuigkeiten aus.«
    »Ich habe mich auch mit der Angelegenheit eines jungen Menschen zu beschäftigen, der auf der Festung eingeschlossen ist.«
    »Auf der Festung? Ach ja, ich kann dir auch einen Brief für den Baron Kriegsmuth geben, das ist ein braver Mensch, übrigens kennst du ihn ja. Er war ein Kamerad deines Vaters. Er hat sich dem Spiritismus zugewendet, ist aber trotzdem ein braver Mann. Was willst du von ihm?«
    »Ich will für die Mutter des jungen Mannes um die Erlaubnis nachsuchen, ihren Sohn sprechen zu dürfen. Ich habe auch ein Gesuch für Tscherwianski, was mir sehr unangenehm ist.«
    »Tscherwianski? Ach, dieser häßliche Mensch! Das ist ja Mariettens Gatte; doch ich kann mich immerhin an sie wenden. Sie wird alles für mich thun; sie ist ja so nett!«
    »Ich habe sie um die Freilassung eines jungen Mädchens, einer Studentin, zu bitten, die seit mehreren Monaten im Gefängnis sitzt, ohne daß jemand weiß, warum!«
    »O, sie selbst wird schon wissen, warum; diese Mädchen mit den kurzen Haaren sind weich wie Butter, wenn sie hinter Schloß und Riegel sitzen.«
    »Ich weiß nicht, ob sie wirklich weich wie Butter sind, ich weiß nur, daß sie leiden, wie wir an ihrer Stelle leiden würden. Wie können Sie als Christin, die Sie doch an das Evangelium glauben, so mitleidslos sein?«
    »Was sagst du da? Das ist ja Unsinn! Das Evangelium ist das Evangelium, und was schlecht ist, ist schlecht. Soll ich vielleicht erklären, ich liebe die Nihilisten und besonders die Nihilistinnen mit ihren kurzen Haaren, während ich sie in Wirklichkeit nicht ausstehen kann?«
    »Ja, aber warum können Sie sie denn nicht ausstehen?«
    »Was brauchen sie sich in Dinge zu mischen, die sie nichts
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