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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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moralischer wie politischer Art vollständig fehlten, so daß er nach Belieben alles billigen oder mißbilligen konnte. Wir müssen ferner noch hinzufügen, daß er seine Ansichten je nach den Umständen wechselte, nie in allzu großem Widerspruche mit sich selbst stand, und zwar deshalb, weil er sich einzig und allein um das Wohlwollen seiner Vorgesetzten kümmerte, ohne je danach zu fragen, welche Folgen das für Rußland oder für das Wohl der Menschheit haben könnte.
    Als er an die Spitze des Ministeriums gestellt worden war, hatten alle seine Untergebenen und die Mehrzahl der anderen Personen, die ihn kannten, und noch mehr er selbst, die feste Ueberzeugung, er würde sich als ein ganz bedeutender Politiker bewähren. Als man aber nach einer gewissen Zeit feststellen mußte, er hätte weder etwas geändert noch verbessert, und andere, die die offiziellen Dokumente ebenso gut verstanden und aufsetzten, ihn ersetzen konnten, da bemerkte man einstimmig, daß er durchaus kein Mann von hervorragender Intelligenz, sondern im Gegenteil ein höchst beschränkter Mensch von maßloser Eitelkeit war. Man bemerkte, daß er nichts besaß, was ihn von den andern beschränkten, eitlen Mittelmäßigkeiten unterschied, die seine Stelle einzunehmen wünschten. Er aber hatte sowohl nach, wie vor seinem Ministerium die feste Ueberzeugung, er habe das Recht, jedes Jahr ein höheres Gehalt zu erheben, mehr Titel und Orden zu erhalten und jedes Jahr eine höhere sociale Stellung einzunehmen. Diese Ueberzeugung war in ihm so tief eingewurzelt, daß niemand den Mut hatte, ihm zu widersprechen, und so erhob der Graf Iwan Michaelowitsch jedes Jahr ein höheres Gehalt, hatte das Recht, jedes Jahr neue Kreuze oder Emaillesterne anzustecken, und vielleicht besaß niemand in St. Petersburg so ausgebreitete Verbindungen als er.
    Die Erklärungen Nechludoffs hörte er mit demselben Ernst und derselben Aufmerksamkeit an, mit der er früher die Berichte seiner Bureauchefs angehört. Als er sie vernommen, sagte er seinem Neffen, er würde ihm zwei Empfehlungsbriefe geben. Der eine derselben war für den Senator Wolff vom Kassationshofe bestimmt. »Man spricht so mancherlei von ihm,« fügte Iwan Michaelowitsch hinzu, »aber auf jeden Fall ist es ein sehr »schneidiger« Mann, er ist mir verpflichtet und wird thun, was in seinen Kräften steht.« Der zweite Brief war an ein sehr einflußreiches Mitglied der Begnadigungskommission gerichtet, dem das Gnadengesuch der Fedossja vorgelegt werden sollte, deren Geschichte den früheren Minister sehr zu interessieren schien. »Wenn Ihre Majestät mir die Ehre erweist, mich zu einer ihrer nächsten kleinen Donnerstaggesellschaften einzuladen, so wird es mir vielleicht möglich sein, ein Wort über diese Sache fallen zu lassen.«
    Als Nechludoff von seinem Onkel diese beiden Briefe und von seiner Tante den für Mariette Tscherwianska erhalten, begann er sofort, die nötigen Schritte zu thun. Zunächst begab er sich zu Mariette. Er hatte sie als junges Mädchen gekannt und wußte, daß sie nach einer ziemlich ärmlichen Kindheit sich mit einem sehr thätigen und sehr ehrgeizigen Beamten verheiratet hatte, der es jetzt schon verstanden hatte, sich eine sehr schöne Stellung zu schaffen. Er wußte außerdem, daß dieser Gatte in einem höchst verdächtigen Rufe stand, und geriet in große Verlegenheit bei dem Gedanken, diesen Mann um eine Gefälligkeit zu ersuchen. Zu dieser Verlegenheit trat noch für ihn ein persönliches Gefühl. Er fürchtete, er könne im Verkehr mit dieser Welt, die zu verlassen er entschlossen war, wieder an einem leichten und oberflächlichen Leben Geschmack gewinnen. Dieses Gefühl hatte er bereits empfunden, als er zu seiner Tante kam, und er erinnerte sich, wie er in der Unterhaltung mit ihr sich hatte hinreißen lassen, die ernstesten Fragen in ironischem und leichtfertigem Tone zu behandeln. Im allgemeinen machte St. Petersburg wieder auf ihn den verweichlichenden und berauschenden Eindruck, den er bereits früher empfangen hatte. Alles war darin so sauber, so bequem, es fehlte darin vollständig an geistigen und moralischen Skrupeln, daß das Leben hier leichter als anderswo erschien.
    Ein Kutscher von wunderbarer Sauberkeit fuhr ihn in einem Wagen von ebenso wunderbarer Sauberkeit auf einem reinen und glatten Pflaster durch elegante und saubere Straßen bis zu dem Hause, in welchem Mariette lebte. Vor der Auffahrt sah er ein paar englische Pferde vor einem Landauer, auf dessen
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