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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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seinen Sohn. Von diesem Augenblick an lebte er, als hätte er nie einen Sohn gehabt, und niemand wagte bei ihm zu Hause, von demselben zu sprechen. Das hinderte ihn aber nicht, der vollen Ueberzeugung zu leben, niemand könnte ein Familienleben so trefflich gestalten wie er.
    Wolff empfing Nechludoff mit dem liebenswürdigen und etwas spöttischen Lächeln, mit der er seine Gefühle als Mann comme il faut der übrigen Menschheit gegenüber zum Ausdruck brachte.
    »Ich bitte Sie,« sagte er, nachdem er den Brief des Grafen Iwan Michaelowitsch gelesen, »nehmen Sie Platz. Mir aber gestatten Sie wohl, weiter auf und ab zu gehen. Freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen und natürlich auch dem Grafen Iwan Michaelowitsch gefällig zu sein,« fuhr er fort, nachdem er eine dichte, blaue Rauchwolke ausgestoßen, wobei er seine Cigarre sorgsam so hielt, daß die Asche nicht auf den Teppich fallen konnte.
    »Ich möchte Sie nur bitten, die Prüfung der Berufung beschleunigen zu lassen,« sagte Nechludoff, »damit die Maslow, wenn sie nach Sibirien muß, so schnell wie möglich abreisen kann.«
    »Ja, ja, mit dem ersten Dampfer von Nischnij-Nowgorod, ich weiß!« erklärte Wolff mit seinem vorigen Lächeln, wie ein Mann, der genau im voraus weiß, was man mit ihm sprechen will. »Sie sagen, die Verurteilte heißt...?«
    »Katharina Maslow!«
    Wolff ging auf seinen Schreibtisch zu und öffnete einen Karton mit Papieren.
    »Die Maslow! Ganz recht! Schön, ich werde mit meinen Kollegen darüber sprechen, und wir werden über den Fall Mittwoch beraten.«
    »Darf ich meinem Advokaten telegraphieren?«
    »Wie? Sie haben in dieser Sache einen Advokaten? Das ist ganz unnütz! Aber ja, Sie können ihm schließlich telegraphieren.«
    »Ich fürchte, die Gründe zur Annullierung genügen nicht,« sagte Nechludoff, »aber schon das Protokoll der Verhandlungen beweist, daß die Verurteilung auf Grund eines Mißverständnisses erfolgt ist.«
    »Ja, ja, das ist möglich; aber der Senat hat sich nur mit der Sache selbst zu beschäftigen,« versetzte Wolff, auf seine Cigarrenasche blickend, in strengem Tone. Der Senat muß sich darauf beschränken, ob die Verhandlung nach Gesetzesvorschrift erfolgt ist.«
    »Aber ich glaube, der Fall liegt hier so außergewöhnlich...«
    »Gewiß, gewiß! Alle Fälle sind außergewöhnlich. Na, wir werden thun, was zu thun ist!«
    Die Asche hielt noch immer, begann aber am Ende der Cigarre zu zittern.
    »Und Sie kommen nur selten nach Petersburg,« fuhr Wolff fort, indem er die Asche in den Aschbecher abstrich, »Dieser Tod des jungen Kamensky ist doch entsetzlich! Ein so reizender junger Mann! Der einzige Sohn! Die Mutter ist vor Verzweiflung wahnsinnig,« fügte er hinzu und wiederholte fast Wort für Wort, was die ganze Stadt sprach.
    Nechludoff stand auf, um sich zu verabschieden.
    »Wenn es Ihnen recht ist, so frühstücken Sie doch einmal in den nächsten Tagen bei mir,« sagte Wolff, während er ihm die Hand reichte.
    Die Zeit war schon so vorgerückt, daß Nechludoff seine weiteren Bemühungen auf den nächsten Tag verschob und nach Hause, d. h. zu seiner Tante zurückkehrte.
     
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    Es waren an diesem Abend sechs Personen bei der Gräfin Katharina Iwanowna zu Tische. Der Graf, die Gräfin, ihr Sohn, – ein junger mürrischer und brummiger Gardeoffizier, der mit den Ellenbogen auf dem Tische aß, – Nechludoff, die französische Vorleserin und der Verwalter des Grafen.
    Die Unterhaltung drehte sich natürlich um den Tod des jungen Kamensky. Jeder entschuldigte Posen, der die Ehre seiner Uniform verteidigt hatte. Nur die Gräfin Katharina Iwanowna zeigte sich mit ihrer freien und unüberlegten Sprechweise streng gegen den Mörder.
    »Sich betrinken und dann reizende junge Leute töten, das werde ich nie entschuldigen,« erklärte sie.
    »Ich begreife nicht, was Sie damit sagen wollen,« bemerkte ihr Gatte.
    »Ja, ich weiß! Du begreifst nie, was ich sagen will,« versetzte die Gräfin und wandte sich zu Nechludoff, als wolle sie ihn zum Zeugen nehmen. »Jeder begreift mich, nur nicht mein Mann. Ich sage, ich beklage die Mutter dessen, den er getötet hat, und kann es nicht dulden, daß dieser Mensch, der Kamensky gemordet, davon noch Annehmlichkeiten haben soll.«
    In diesem Augenblick ergriff der Sohn der Gräfin, der bis dahin nichts gesagt, das Wort, um die Verteidigung Posens zu übernehmen. In ziemlich grober Weise griff er die Worte seiner Mutter an und bemühte sich, ihr zu beweisen, ein
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