Auferstehung 3. Band (German Edition)
aufgesetzt?«
»Jawohl,« versetzte Nechludoff und zog ein Papier aus der Tasche. »Doch ich wollte Sie persönlich sprechen, um Sie zu bitten, diesem Falle Ihre besondere Aufmerksamkeit zu schenken.«
»Sie haben daran sehr recht gethan. Ich werde mich mit der Sache selbst beschäftigen. Die Geschichte ist wirklich sehr rührend,« fuhr der Baron mit der freundlichsten Miene fort. »Ich sehe die Sache förmlich vor mir. Diese Unglückliche war ein Kind, ihr Mann widerte sie durch seine Plumpheit an; dann haben beide bereut und sich gegenseitig in einander verliebt. Ja, ich werde mich mit der Angelegenheit selbst beschäftigen.«
»Der Graf Iwan Michaelowitsch hat mir übrigens versprochen, er würde ebenfalls ...«
Doch kaum hatte Nechludoff diese Worte gesprochen, als sich der Gesichtsausdruck des Barons veränderte und er in kühlem Tone zu Nechludoff sagte:
»Geben Sie Ihr Gesuch doch im Bureau ab, und ich werde sehen, was sich thun läßt!«
Nechludoff verließ das Gemach und begab sich in die Bureaus, um sein Gesuch abzugeben. Auch hier sah er, wie im Senat, eine Menge Beamte, Angestellte und Aufseher, die alle auffallend sauber und höflich waren.
»Wie viele das sind, und wie wohlgenährt! wie glänzend, geschniegelt und gebügelt! Aber was haben sie wohl für einen Zweck?« fragte sich Nechludoff, während er sie betrachtete.
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Der Mann, in dessen Händen das Schicksal der Gefängnisgefangenen lag, war ein alter General, der zwar in dem Rufe stand, ein großer Dummkopf zu sein, trotzdem aber die glänzendsten Diensterfolge aufwies. Er besaß eine große Menge von Orden, deren Insignien er übrigens zu tragen verschmähte, mit Ausnahme eines kleinen weißen Kreuzes, das in seinem Knopfloch hing. Er hatte sich dieses Kreuz im Kaukasus verdient, weil er unter seinem Befehle stehende junge russische Bauern gezwungen hatte, Tausende von Leuten aus dem Lande zu töten, die ihre Freiheit, ihre Häuser und ihre Familie verteidigten. Dann hatte er in Polen gedient, wo er junge russische Bauern gezwungen hatte, dieselben Handlungen zu begehen, was ihm neue Ehren eingebracht hatte; dann hatte er noch irgendwo anders gedient und sich dort in derselben Weise ausgezeichnet. Jetzt war er alt und abgespannt, und bekleidete den Posten eines Festungsinspektors. Er erfüllte die Pflichten seines Amtes mit unbeugsamer Strenge und hielt dieselben für die heiligste Sache von der Welt.
Die Pflichten seines Amtes bestanden darin, politische Gefangene beiderlei Geschlechts im geheimen in düstere Zellen einzusperren und sie derart zu behandeln, daß die Hälfte von ihnen unfehlbar in zehn Jahren starb; einige verloren den Verstand, andere wurden schwindsüchtig, und eine große Anzahl tötete sich, indem sie Hungers starben, sich mit einem Glasscherben die Adern öffneten oder sich an der Stange eines Fensters aufhingen.
Der alte General wußte das alles, und das alles passierte unter seinen Augen; doch diese Vorfälle regten ihn nicht mehr auf, als das Unglück, das der Blitz, die Ueberschwemmungen und andere Naturerscheinungen hervorbrachten. Das einzige, was ihn interessierte, war der Gehorsam gegen das ihm vorgeschriebene Reglement. Dieses Reglement mußte vor allen Dingen befolgt werden; die Folgen, die daraus entstanden, kümmerten ihn wenig. Einmal in der Woche besuchte der alte General nach der Vorschrift des Reglements sämtliche Zellen und fragte die Gefangenen, ob sie irgend eine Beschwerde vorzubringen hätten. Die Gefangenen führten sehr oft Beschwerde, er hörte sie ruhig an, ohne etwas zu erwidern, erledigte dieselben aber nie, denn er wußte im voraus, daß alle diese Beschwerden Dinge verlangten, die mit dem Reglement nicht im Einklang standen.
Als Nechludoff sich dem alten General vorstellte, saß dieser in einem kleinen Salon, dessen sämtliche Fenstervorhänge heruntergelassen waren, so daß man sich in vollständiger Dunkelheit befand. Er war eben damit beschäftigt, in Gesellschaft eines jungen Malers, des Bruders eines seiner Untergebenen, einen Tisch zum Klopfen zu bringen. Die dünnen und zarten Finger des jungen Künstlers berührten die dicken, runzligen und zum Teil verknöcherten Finger des alten Generals. Der Tisch war eben im Begriff, auf eine von dem General gestellte Frage zu antworten, und zwar lautete dieselbe, »ob die Seelen sich nach dem Tode wohl wiedererkennen«.
An diesem Tage sprach die Seele der Jeanne d'Arc aus dem Tische. Schon hatte sie gesagt: »Ja, die
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