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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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Dann können wir über diese allgemeinen Fragen in Ruhe sprechen. Kommen Sie bestimmt! Meine Frau wird entzückt sein, Sie wiederzusehen!«
    »Gewiß, ich werde mein Möglichstes thun,« versetzte Nechludoff; er fühlte, daß er log und daß er sein Möglichstes thun würde, um nie zu den »Sonnabenden« des Advokaten zu kommen und sich nie in diesen Kreis von Gelehrten, Schriftstellern und Künstlern zu begeben.
    Das Lachen Fanitzins, mit dem er seine Frage beantwortet, und der ironische Ton, in dem er die Worte »allgemeine Fragen« gesprochen, machten Nechludoff vollends begreiflich, wie sehr sich seine Art zu denken und zu fühlen von der des Advokaten und jedenfalls auch von der seiner Freunde unterschied. Trotz der in ihm vorgegangenen Veränderung hatte er das Gefühl, Tschembok bliebe ihm und würde ihm stets noch weniger fremd bleiben, als dieser Fajnitzin und alle »Intellektuellen« seiner Umgebung.
     
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    Als Nechludoff die Mauern des Gefängnisses bemerkte, schnürte sich ihm das Herz zusammen, und ängstlich fragte er sich, in welcher Verfassung er die Maslow finden würde; doch noch mehr ängstigte ihn das Geheimnis, das er in ihrer Seele vermutete, dieses Geheimnis, das das ganze Gefängnis zu erfüllen schien.
    Er klingelte am Hauptthor, und als ein Aufseher ihm entgegenkam, bat er um die Erlaubnis, die Maslow sprechen zu dürfen. Der Aufseher, der ihn erkannt hatte, ließ ihn sofort eintreten und sagte ihm, die Maslow wäre zum Krankendienst versetzt worden. Nechludoff wandte sich der Krankenabteilung zu. Dort fand er einen guten, alten Aufseher, der ihn gleich eintreten ließ und ihn selbst nach der Kinderabteilung führte, der die Maslow zugeteilt war.
    Ein junger Assistent, der einen starken Karbolgeruch ausströmte, kam Nechludoff im Korridor entgegen und fragte ihn in strengem Tone nach dem Zweck seines Besuches. Dieser junge Assistent war stets gefällig gegen die Kranken, was ihn fortwährend unangenehmen Erklärungen mit den Gefängnisbeamten und mit seinem Vorgesetzten, dem dirigierenden Arzt, aussetzte. Da er fürchtete, Nechludoff wolle ihn um irgend eine ungesetzliche Gefälligkeit bitten, und weil er vielleicht auch zeigen wollte, daß er bei niemandem eine Ausnahme machte, so zwang er sich, seine strengste Miene anzunehmen und erklärte:
    »Hier sind keine Frauen; hier ist die Kinderabteilung.«
    »Ich weiß, doch man hat mir gesagt, es wäre hier eine Gefangene kürzlich als Wärterin angestellt worden.«
    »Wir haben allerdings zwei Wärterinnen. Welche wollen Sie sprechen?«
    »Ich stehe in Beziehung zu einer derselben, einer gewissen Maslow,« sagte Nechludoff, »und sie möchte ich sprechen. Ich reise morgen nach St. Petersburg, wo ich mich mit der Annullierung ihres Urteils zu beschäftigen habe. Dann wäre ich auch glücklich, ihr dies übergeben zu können; es ist nur eine Photographie,« fügte er hinzu und zog ein weißes Kouvert aus der Tasche.
    »Gut, ich werde sie rufen,« sagte der Assistent, bereits besänftigt, wandte sich dann zu einer alten Wärterin in weißer Schürze und sagte ihr, sie solle die Maslow kommen lassen.
    »Wollen Sie sich nicht setzen? oder wollen Sie sich ins Sprechzimmer begeben?«
    »Danke!« versetzte er, die Veränderung in dem Benehmen des Assistenten bemerkend, und fragte ihn, ob er mit der Arbeit der Maslow zufrieden wäre.
    »Gewiß! sie arbeitet nicht allzu schlecht, besonders wenn man bedenkt, woher sie kommt,« versetzte der Assistenzarzt, »Aber da ist sie ja!«
    Die Maslow war thatsächlich eben in Begleitung der alten Wärterin in den großen Korridor getreten. Auch sie trug eine weiße Schürze über ihrem gestreiften Leinenkleid und auf dem Kopfe ein Tuch, das ihre Haare bedeckte. Als sie Nechludoff bemerkte, blieb sie einen Augenblick zögernd stehen, errötete, zog die Stirn kraus, schlug die Augen zu Boden und trat schnell auf ihn zu. Zuerst wollte sie ihm nicht die Hand geben, reichte sie ihm aber schließlich doch und errötete noch stärker.
    Nechludoff hatte sie seit dem Tage nicht wiedergesehen, da sie sich wegen ihrer Heftigkeit ihm gegenüber entschuldigt; er hoffte, sie in derselben Verfassung wiederzufinden. Doch sie war diesmal in ganz anderer Stimmung, nämlich zurückhaltend, ihm feindlich gesinnt. Er wiederholte ihr, was er eben dem Assistenten gesagt; er reise nach St. Petersburg, habe sie vor seiner Abreise noch einmal sehen wollen und ihr etwas mitgebracht.
    »Da nehmen Sie,« fuhr er fort; »das habe ich in
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