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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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dem Hause meiner Tanten entdeckt; es ist eine alte Photographie. Vielleicht macht es Ihnen Vergnügen, sie sich wieder anzusehen. Da nehmen Sie sie!«
    Sie zog ihre schwarzen Augenbrauen in die Höhe, und ihre etwas schielenden Augen hefteten sich überrascht auf Nechludoff, als wenn sie fragen wollte: »Warum giebt er mir das?« Dann nahm sie, ohne ein Wort zu sprechen, das Kouvert und verbarg es unter ihrer Schürze.
    »Ich habe auch Ihre Tante im Dorfe gesehen,« fügte Nechludoff hinzu.
    »So!« versetzte sie gleichgültig.
    »Und wie fühlen Sie sich hier?«
    »Sehr gut; ich habe mich nicht zu beklagen!«
    »Die Arbeit ist nicht zu schwer?«
    »Ach nein, nicht allzu sehr; ich bin noch nicht daran gewöhnt, das ist alles!«
    »Es ist also noch immer besser, nicht wahr, als Ihr Leben da drüben?«
    »Wie meinen Sie das, da drüben?« rief sie, und eine Blutwelle überströmte ihre Wangen.
    »Ich meine da drüben im Gefängnis!« beeilte sich Nechludoff hinzuzufügen.
    »Warum ist das besser?«
    »Ich denke mir, die Leute sind hier besser. Da drüben sind es doch nicht dieselben Leute!«
    »Auch da drüben giebt es viele brave Leute!« versetzte sie trocken.
    »Uebrigens habe ich mich auch mit dem Falle der Mentschoffs beschäftigt! Ich habe die Hoffnung, man wird sie freilassen.«
    »Das walte Gott! sie ist eine so merkwürdige alte Frau,« sagte sie und wiederholte ihre Erklärung der alten Gefangenen, während ein leises Lächeln über ihr Gesicht huschte.
    »Ich hoffe auch, daß Ihre Sache bald in St. Petersburg untersucht und das Urteil kassiert werden wird!«
    »Das ist mir jetzt gleichgültig, ob es kassiert wird oder nicht!«
    »Warum sagen Sie ›jetzt‹?«
    »Ach, ich meine nur so!« versetzte sie, und er glaubte, in ihren Augen eine Frage zu lesen.
    Nechludoff bildete sich ein, sie wolle wissen, ob er noch in seinen Entschlüssen beharre oder ob er sich in den Korb gefunden, den sie ihm gegeben hatte.
    »Warum Ihnen das gleich ist,« sagte er, »weiß ich nicht; doch was mich anbetrifft, so wird es an dem, was ich zu thun gedenke, nichts ändern. Was auch kommen mag, ich werde stets bereit sein, mein Versprechen zu halten!«
    Sie richtete von neuem ihre schielenden schwarzen Augen auf ihn, und unwillkürlich zeichnete sich eine tiefe Freude darin ab, die aber nur ihre Augen ausdrückten, denn sie sagte:
    »Sie verlieren Ihre Zeit, wenn Sie so zu mir sprechen!«
    »Ich spreche so zu Ihnen, damit Sie wissen, woran Sie sind.«
    »Was gesagt ist, ist gesagt; ich werde nichts mehr hinzufügen,« erklärte sie mit mühsamer Stimme.
    In diesem Augenblick ließ sich im Nebenzimmer ein Geräusch vernehmen, dem ein Kinderschrei folgte.
    »Man ruft mich,« sagte die Maslow und blickte sich unruhig um.
    »Nun denn. Adieu!«
    Sie that, als sähe sie nicht, daß er ihr die Hand reichte und entfloh, ohne sich umzuwenden, indem sie die tiefe Freude niederzuzwingen versuchte, die ihr Herz erfüllte.
    »Was geht in ihr vor? Was denkt sie? Was fühlt sie? Will sie mich nur auf die Probe stellen? Oder kann sie mir wirklich nicht verzeihen? Kann sie mir nicht sagen, was sie denkt und fühlt, oder will sie es nicht? Ist sie mir günstiger oder ungünstiger gesinnt, als beim letzten Mal?« fragte sich Nechludoff und bemühte sich vergeblich, diese Fragen zu beantworten. Nur eins erschien ihm klar, daß eine große Veränderung in ihr vorging und daß er durch diese Veränderung ihr und dem, in dessen Namen er gehandelt, näher trat. Und der Gedanke an diese Annäherung erfüllte ihn mit zarter Wonne.
     
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    Inzwischen war die Maslow in den Saal, in dem sie arbeitete, zurückgekehrt, einen kleinen Saal mit acht Kinderbetten. Auf den Befehl der Nonne machte sie die Betten. Plötzlich trat sie, weil sie die Arme zu hoch erhoben und sich zu sehr nach hintenüber geneigt, fehl und wäre beinahe gefallen. Ein kleiner, in der Genesung begriffener Junge, der mit verbundenem Kopfe auf einem Bette saß, bemerkte ihre Bewegung und fing zu lachen an, worauf die Maslow, die sich nicht länger halten konnte, ebenfalls in ein so fröhliches, so ansteckendes Gelächter ausbrach, daß alle andern Kinder darin einstimmten. Die Nonne wurde ärgerlich und sagte zur Maslow:
    »Was hast du zu lachen? Du glaubst dich wohl noch drüben, von wo du kamst? Geh' in die Küche und hole das Essen!«
    Die Maslow hörte zu lachen auf und ging, wohin man sie schickte. Doch selbst die harten Worte der Nonne hatten die Freude nicht ersticken können.
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