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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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Bock mit würdiger und ernster Miene ein Kutscher saß, der einen Backenbart trug und den Eindruck eines Engländers machte. Ein in auffallende Livree gekleideter Portier öffnete die Eingangsthür, während Nechludoff am Fuß der Treppe einen ebenfalls in prächtige Livree gekleideten Diener mit sorgfältig gekämmtem Backenbart stehen sah; derselbe blieb unbeweglich, ohne Nechludoffs Erscheinen bemerken zu wollen, doch ein anderer Diener trat vor und sagte:
    »Der General empfängt nicht und die Frau Generalin ebensowenig, sie hat eben ihre Befehle zum Ausfahren gegeben.«
    Nechludoff zog aus seiner Brieftasche eine Visitenkarte, näherte sich einem kleinen Tische im Vorzimmer und wollte mit Bleistift einige Worte darauf schreiben, als der Diener plötzlich eine Bewegung machte, während der Portier mit dem Worte: »Vorfahren!« auf die Freitreppe stürzte; der Diener richtete sich auf, legte die Hände an die Hosennaht und folgte mit den Augen einer kleinen und dünnen jungen Frau, die, ohne sich allzu viel um die Forderungen der Würde zu kümmern, schnellen Schrittes die Treppe herunterkam. Mariette trug einen großen Hut mit einer schwarzen Feder, dazu eine schwarze Pellerine über einem schwarzen Kleide und knöpfte sich beim Gehen ein Paar schwarze Handschuhe an. Ihr Gesicht war unter einem Schleier verborgen. Als sie Nechludoff bemerkte, lüftete sie den Schleier und zeigte ein sehr hübsches Gesicht mit großen glänzenden Augen. Als sie den Besucher einen Augenblick betrachtet, rief sie mit vertraulicher und fröhlicher Stimme:
     
     
    »Ah, Fürst Dimitri Iwanowitsch!«
    »Wie? Sie erinnern sich noch meines Namens?«
    »Und Sie haben also vergessen, daß wir, meine Schwester und ich, einen ganzen Sommer in Sie verliebt gewesen sind?« versetzte sie lachend. »Aber wie verändert Sie sind! Wie schade, daß ich ausfahren muß! Uebrigens könnten wir noch einen Augenblick in den kleinen Salon gehen,« sagte sie zögernd, blickte auf die Uhr im Vorzimmer und fuhr fort: »Leider ist es unmöglich! Ich fahre zu den Kamenskys zur Leichenfeier. Schrecklich, nicht wahr?«
    »Aber was ist denn diesen Kamenskys widerfahren?«
    »Wie? Sie wissen nicht? Ihr Sohn ist im Duell gefallen. Ein Streit mit Posen. Ihr einziger Sohn! Es ist entsetzlich! Die Mutter ist wahnsinnig vor Verzweiflung. Nein, hier kann ich unmöglich bleiben, aber kommen Sie morgen oder heut' abend,« fuhr sie fort und wandte sich mit ihrem leichten Schritte der Thür zu.
    »Heut' abend kann ich leider nicht! Ich kam gerade in einer wichtigen Angelegenheit!« sagte Nechludoff, während er mit ihr auf die Freitreppe trat.
    »In was für einer Angelegenheit?«
    »Hier ist ein Brief meiner Tante!« sagte Nechludoff und reichte ihr das kleine Couvert, das ein umfangreiches Siegel aufwies.
    »Ja, ich weiß, die Gräfin Katharina Iwanowna bildet sich ein, ich hätte Einfluß auf meinen Gatten! Wie sie sich irrt! Ich vermag nichts über ihn und will mich nicht in seine Angelegenheiten mischen. Aber natürlich bin ich für Sie und die Gräfin bereit, von meinen Grundsätzen abzuweichen. Um was handelt es sich also?«
    »Um ein junges Mädchen, das auf der Festung sitzt! Sie ist krank und man hat sie aus Verschen verhaftet.«
    »Wie heißt sie?«
    »Tschustoff, Lydia Tschustoff. Sie finden alle Auskünfte über sie in der dem Briefe beigefügten Notiz!«
    »Nun, ich werde mir die Sache angelegen sein lassen,« sagte Mariette, während sie den Fuß auf das Trittbrett des eleganten neuen Wagens setzte, dessen Firniß in der Sonne glänzte. Sie setzte sich und öffnete ihren Sonnenschirm. Der Diener stieg auf den Bock und gab dem Kutscher ein Zeichen, man wäre bereit. Der Wagen setzte sich in Bewegung, doch in demselben Augenblick tippte Mariette mit dem plötzlich wieder geschlossenen Sonnenschirm dem Kutscher auf die Schulter; die Pferde, die unter dem Druck der Zügel den Kopf erhoben hatten, blieben stehen und bewegten ihre feinen Beine auf dem Platze.
    »Aber Sie werden mich doch besuchen, und dann ohne selbstsüchtigen Grund?« fragte sie mit einem Lächeln, dessen Macht sie kannte. Dann öffnete sie den Sonnenschirm wieder und gab dem Kutscher ein neues Zeichen.
    Nechludoff nahm höflich zum Abschied seinen Hut ab. Die Pferde stampften nervös auf dem Pflaster, und der Wagen entfernte sich schnell und leise.
     
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    Während Nechludoff sich an das Lächeln erinnerte, das er eben mit Mariette ausgetauscht, stellte er allerlei innerliche
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