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Auf die feine Art

Auf die feine Art

Titel: Auf die feine Art
Autoren: Leena Lehtolainen
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würde nicht so bald verschwinden. Zu vergessen brauchte er Sanna nicht, wie auch Kimmo Armi nicht zu vergessen brauchte, doch er musste lernen, ohne sie zu leben. So etwas konnte man lernen, glaubte ich. Bewies ich damit, dass ich noch nie wirklich geliebt hatte?
    »Da drüben ist es.« Antti riss mich aus meinen Gedanken und führte mich über den glatt geharkten Weg an die richtige Stelle. In der Ulme neben dem Grab sang eine Amsel. Der frische Maiglöckchenstrauß ließ den fast mannshohen Grabstein noch dunkler wirken. Bei Armis Gedenkfeier hatte Annamari gesagt, es wäre an der Zeit, Sannas Namen auf dem Grabstein anzubringen. Ich hatte mich gefreut: Es war mir gelungen, Sanna sichtbar zu machen.
    Sorgsam legte ich meinen Mohnblumenstrauß auf dem Grab nieder. Das, was da unter dem Stein lag, war nicht Sanna, aber ich hätte nicht gewusst, wo ich ihr sonst einen Gruß hinlegen sollte. Wer weiß, vielleicht sah sie die Mohnblumen sogar. Antti stand etwas weiter weg und verfütterte Nüsse an die gierigen Eichhörnchen, die ihm an den Beinen hochkletterten.
    Plötzlich sah ich Sanna vor mir, den ewigen Glimmstängel im Mund, die schwarzen Haare zerzaust. Sie hielt mir ihre Sorbusflasche hin, und ich versuchte mir einzureden, dass sie mir zum Dank einen Schluck anbot. Noch im Blumenladen hatte ich mir eingebildet, ich wäre endlich über sie hinweg, aber als ich jetzt an ihrem Grab stand, wurde mir klar, dass ich mein Schuldgefühl nie verlieren würde. Was ich nach Sannas Tod getan hatte, bedeutete ihr nichts. Dass ich sie mochte, hätte ich ihr zeigen müssen, solange sie noch lebte.
    Was für ein verdammtes Risiko ist es doch, zu lieben. Wenn man jemanden gern hat, muss man für den Rest seines Lebens fürchten, ihn zu verlieren. Davor hatte ich größere Angst als vor einer Begegnung mit zehn bewaffneten Mördern. Als ich mich von Sannas Grab abwandte, wurde mir klar, dass ich es deshalb nicht gewagt hatte, mich an Antti zu binden, ihn nach Amerika zu begleiten oder ihm zu versprechen, auf ihn zu warten. Dahinter steckte kein gesunder Drang nach Unabhängigkeit, sondern Feigheit.
    Wir gingen den Uferweg entlang. Es war schon spät, der Friedhof wurde bald geschlossen. Hinter dem Krankenhaus Lapinlahti schien noch die Sonne hervor, aber die Bäume warfen immer längere Schatten. Der Wind hatte sich gelegt. Ein Igel raschelte im Unterholz. An der Fichtenhecke stand ein Teller Milch für ihn.
    Der Springbrunnen war noch in Betrieb. Wir trugen eine Bank an das Bassin, betrachteten die Sonnenstrahlen auf der Bucht, die Silhouette der Nervenheilanstalt und den Vollmond, der mit der Sonne wetteifern wollte. Antti legte den Arm um mich.
    Ich dachte an Make und Kimmo, die mich bei Armis Beerdigung fest umarmt hatten. Offensichtlich veranstalteten sie im Fitnesscenter eine Art Gruppentherapie für zwei, sie versuchten sich gegenseitig zu trösten. Dann dachte ich an die Laaksonens, die es noch einmal miteinander versuchen wollten. Sie waren wohl doch nicht verrückt, sondern mutig. Jetzt nahm auch ich all meinen Mut zusammen.
    »Du, Antti … ich hab nachgedacht. Das mit deiner Amerikareise ist doch nicht so dramatisch. Ich kann warten«, sagte ich und las in seinen Augen, dass er verstand, was ich sagen wollte.
    »Wenn die Sehnsucht zu groß wird, nehm ich mir Urlaub und besuche dich.«
    Als wir uns küssten, flog eine Nachtigall in den Ahorn und begann wie wild zu zwitschern.
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