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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht
Autoren: Hellmuth Karasek
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schönen Landhaus in den Beskiden, die Warme flirrte betörend durch den Garten, mein Vater hatte uns hierhin abgeschoben, er selbst wollte am 8. August, dem dreißigsten Geburtstag meiner Mutter, kommen, mit Onkeln und Tanten und der Großmutter, aber die war vielleicht schon bei uns, genau weiß ich das nicht mehr.
    Aber an das Mittagessen erinnere ich mich noch. Wir saßen im Grünen oder blickten zumindest ins Grüne und es gab ein Essen, das mir unendlich gut schmeckte, es war Büchsenfleisch, das sich salzig, fett und schwer um den Reis gelegt hatte. Das war in Kriegszeiten etwas Außergewöhnliches, etwas wie Schlemmerei und Sattwerden, wobei das Fett aus den Mundwinkeln floss und man sich nach jedem Bissen wohlig zurücklehnte in der ringsherum summenden, flirrenden Hitze des Hochsommers. Die Liebe zum Büchsenfleisch, zum Corned Beef, ist mir geblieben, auch wenn sich meine Kinder über mich lustig machten und sich schüttelten, wenn ich das »Hundefutter« vor ihnen aß.
    Es war das erste und einzige Mal, dass ich im Krieg Büchsenfleisch aß, das als Block aus einer Büchse gehoben und in eine Pfanne geworfen wurde, wo es unter der Hitze faserig weich wurde und säuerlich nach Fleisch roch. Wahrscheinlich hatte es mein Vater zum Geburtstag meiner Mutter »organisiert«. Es war wohl als Wehrmachtsration für die Truppen an der Front gedacht oder als Luftwaffenration. Die Flieger hatten sogar Schokolade in runden Dosen, damit sie ihre schweren Einsätze fliegen konnten. Als Truppen Görings waren sie privilegiert vor allen anderen; der »dicke« Reichsmarschall sorgte, wie man sich erzählt, für das leibliche Wohl seiner Männer, die elitär, aber auch besonders gefährlich lebten. Wir sammelten Ritterkreuzträger-Zigarettenbilder von Jagdflieger-Assen: Mölders, Galland, Udet, wie spätere Generationen Fußballer oder Leichtathleten oder Filmstars.
    Jedenfalls sehe ich meine Mutter, die trotz des Kriegs (der Russland-Feldzug stand noch bevor) eine lebenslustige, lebhafte Frau war, wie sie an einem großen Tisch fast übermütig den Reis verteilt und das Fleisch aus der Pfanne dazu auftut. Und auf einmal denke ich, dass das vielleicht eine imaginäre Runde war und dass ich nur, wie so oft, allein mit meiner Mutter saß und ich mir das Scherzen, das Lachen, das Klappern vieler Bestecke nur einbildete, weil ich an diesem Sommertag so glücklich und so glücklich satt war. Nicht, dass ich sonst gehungert hätte, aber ein solches Festessen, das war schon eine Seltenheit, ob mit vielen oder zu zweit.
    Am Abend, es war immer noch warm, bin ich zu einem Volksliedersingen gegangen, das ein Dirigent leitete, der seine ganze freudige Kraft darein setzte, aus uns eine singende Gemeinschaft zu machen. Er machte übertriebene Dirigierbewegungen, er umwarb uns, und es gelang ihm, uns alle seinem willen und seiner Begeisterung zu unterwerfen. Vielleicht war er ein Freund meiner Eltern, vielleicht erinnerte er mich nur an deren Freunde, die sich immer an ihre Wandervogel-Zeit erinnerten und Lieder aus dem »Zupfgeigenhansl« sangen. Sie alle waren, als sie jung waren, auf der Walz gewesen, meine Mutter einmal sogar im »Reich«, bis nach Hamburg war sie gekommen, ja sie war in Hamburg und in Heidelberg auch: »Aus grauer Städte Mauern ziehn wir durch Wald und Feld / Wer bleibt, der mag versauern, wir fahren in die Welt! Halli Hallo wir fahren, wir fahren in die Welt (als Echo: ohne Geld!), halli hallo wir fahren, wir fahren in die Welt.«
    Ich weiß noch genau, wie ich über manche Wanderschafts- und Frühlingslieder erschrocken war, erschrocken und mit ihnen auch wieder auf geheime Weise schaudernd einverstanden, wenn zum Beispiel die jungen Burschen, die sich auf die Wanderschaft machten, ihrer Liebsten übermütig und frech und ohne mit der Wimper zu zucken den Laufpass gaben: »Jetzt kommen die lustigen Tage / Schätzel ade. / Und dass ich es dir gleich sage / Es tut mir gar nicht weh / Und im Sommer da blüht der rote, rote Mohn / Und ein lustiges Blut / Kommt überall davon / Schätzel ade, ade! / Schätzel ade!«
    So darf man nicht mit seiner Liebsten umgehen, dachte ich als Sechsjähriger. Der Schmerz, das Mitleid mit dem Schätzel war leicht sadistisch: Nur Sieger dürfen so mit dem Schatz umgehen, weil sie sich das trauen können. Aber furchtbar ist es eigentlich schon, dass man das so ungeniert aussingen darf – »Schätzel ade« und »lustige Tage!«.
    War ich mit meiner Mutter beim Volksliedersingen? Oder
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