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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts
Autoren: R Lappert
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und das Wachstum von Flohkrebsen und hielt ihre Erkenntnisse in einem Schulheft fest, illustrierte sie mit Zeichnungen und las sie nachts in ihrem Zimmer, laut und mit getragener Stimme, als spreche sie zu einer Gruppe von Wissenschaftlern und Forschern.
    Wie gerne er jetzt eine ihrer Reden gehört hätte, dachte Tobey. Sein linkes Bein, das er sowieso nicht mehr spürte, hätte er hergegeben, um ihrem Referat zum Jagdverhalten der Zwergohrfledermaus zu lauschen, mit dem sie beim Wissenschaftsprojekt ihrer Schule den ersten Preis in der Kategorie Natur und Tiere gewonnen hatte. Voller Scham erinnerte er sich daran, wie er mit einer Steinschleuder auf ihre Studienobjekte geschossen hatte, drei Tiere, deren Schlafplätze an der Scheunenwand unter dem Dachgiebel waren, und wie er eins von ihnen traf und wie es auf die Erde fiel. Die Flügel hatten sich angefühlt wie der Stoff, mit dem das Kästchen ausgeschlagen war, in dem seine Mutter ihre Sachen aus einer glücklicheren Zeit aufbewahrt und das sie damals vergessen oderzurückgelassen hatte, als seien die Dinge darin für sie plötzlich wertlos geworden.
    Eine Ameise kam auf ihn zu, und er blies sie weg. Seine Zunge lag ausgetrocknet im Mund, wenn er zu schlucken versuchte, knackte es nur in den Ohren. Er rollte weiter, fast bis zu dem Rechteck aus Licht, das durch die Tür auf den staubigen Boden fiel. Draußen war es still, aber vielleicht, dachte er, war es der Druck in seinem Schädel, der ihn nichts hören ließ. Die Blätter einer Palme wogten im leichten Wind, der Himmel strahlte blau und leer. Tobey stöhnte auf, so sehr bewegten ihn der Anblick und die Tatsache, dass er am Leben war.
    Wimmernd wälzte er sich ein letztes Mal um die eigene Achse bis zur Türöffnung. Eine Brise strich ihm über das Gesicht. In Bauchlage ruhte er sich aus und überlegte, wie lange es dauern würde, sich zu dem Wäldchen zu rollen, durch das er gekommen war. Dass die Hühner sich nicht blicken ließen, beruhigte ihn; er brauchte keine Zuschauer. Er atmete tief ein, die Luft roch nach Gras und Hitze. Er drehte sich auf die Seite und blickte mit zusammengekniffenen Augen in den Himmel. Die dürre Antenne thronte auf dem Mast wie ein Fischskelett, das jemand aus Jux dort oben befestigt hatte.
    Megan war nicht hier, das wusste Tobey nun. Niemand war auf dieser Insel, bis auf das bärtige Kind und den Alten mit der tiefen Stimme, möglicherweise der Vater des Wahnsinnigen. Vielleicht kamen nachts weitere Männer und schliefen in einem der leeren Gebäude. Alles, was Tobey bisher gesehen hatte, schien vor Jahren verlassen worden zu sein. Dass es noch irgendwo Forschungslabore und eine feudale Villa gab, wie sie der alte Professor in Manila beschrieben hatte, glaubte er so wenig, wie dass hier eine Menschenseele lebte, die bereit war, ihm zu helfen. Er musste sich von den Fesseln befreien, einigermaßen zu Kräften kommen und zum Strand gehen. Wenn er vor Erschöpfung und Angst noch nicht jegliches Zeitgefühl verloren hatte, würden die Männer mit dem Boot am Abend kommen, um ihn abzuholen, sicher jedoch am nächsten Tag. Sicher, dachte Tobey. Das Wort war ein solcher Witz, dass er beinahe lachen musste.
    Dann sah er den Affen. Er erschrak mit einer Heftigkeit, die wie ein Stromschlag seinen Körper erstarren ließ. Es war ein Bonobo, so vielwusste Tobey, auch wenn er sich mit Kühen, Rindern und Schafen besser auskannte als mit Primaten. Er trat aus dem Wäldchen, bewegte sich über die kahle Fläche und hielt auf die Hütte zu. Als er Tobey bemerkte, blieb er stehen. Erst jetzt sah Tobey, dass er eine Hose und ein Hemd trug, dunkelblau wie eine Uniform. Er setzte sich hin, starrte herüber. Wegen des hohen Grases konnte Tobey nur noch den Rumpf und Kopf des Tieres erkennen und wollte sich aufrichten, aber ihm fehlte die Kraft dazu. Der Bonobo hob den langen dünnen Arm und bewegte zaghaft die Hand hin und her, dann winkte er plötzlich ungestüm, ließ den Arm wieder sinken und stützte in einer nachdenklichen Geste das Kinn auf beide Hände.
    Tobey zog die Beine an und mühte sich auf die Knie, aber als er endlich atemlos und schwankend aufrecht stand und über die Grasfläche blickte, war der Bonobo weg. Die Schultern taten ihm weh, die aufgeschürfte Haut an den Knöcheln und Handgelenken juckte. Weit weg flogen Vögel durch das matte Blau des Himmels, eine langgezogene Linie flirrender Punkte. Aber der Bonobo blieb verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben.
     
    Nachdem er
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