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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts
Autoren: R Lappert
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Längen und dusche danach!) Durch das Badezimmerfensterkonnte ich das Firmenlogo auf seinem Lieferwagen sehen, eine riesige Rohrzange, deren Griffe rennende Beine waren. Ich bot ihm eine Tasse Tee an, aber er lehnte dankend ab. Vermutlich hatte er Angst, ich würde ihn vergiften und aus seiner Haut Einbände für die Bücher machen. Er erledigte die Reparatur schnell und schweigend und floh dann geradezu aus der Wohnung. Ich habe das Badezimmerfenster den ganzen Tag offen gelassen, um den Geruch des Mannes loszuwerden. Bis vor kurzem bin ich zweimal pro Woche zum Chinesen an der Ecke gegangen, immer am frühen Nachmittag, wenn kaum Gäste an den fünf Tischen saßen. Der Koch und die Kellnerin kamen aus Ungarn, das einzige Asiatische an ihnen waren ihre Armbanduhren. Sie haben die Kneipe von einem echten Chinesen übernommen, der damit genug Geld verdient hat, um in Shanghai ein Transportunternehmen zu gründen. So erzählt man es sich hier jedenfalls. Das Essen im Golden Dragon war nicht besonders, aber Nudeln oder Reis mit Gemüse und Tofu bekam Nandor gerade noch so hin. Wenn sie nichts zu tun hatte, setzte sich Lilly, Liliana, an meinen Tisch und redete mit mir. Sie trank dabei immer riesige Mengen von Wasser, weil sie in einer Frauenzeitschrift gelesen hatte, Michelle Pfeiffer trinke pro Tag drei Liter Wasser. Sie redete in kurzen Hauptsätzen, was alles irgendwie gewichtig klingen ließ. Zum Beispiel sagte sie: Froh Gesicht wenn traurig ist einfach. Katze in Szolnok lassen ist schwer. (Erst dachte ich, das sei die holprige Übersetzung eines ungarischen Sprichworts, aber dann wurde mir klar, dass sie ihre Katze bei den Eltern in der Stadt Szolnok zurücklassen musste.) Lilly hatte einen Traum: Sie wollte im Hotel Inter Continental Park Lane arbeiten, als Kellnerin. Stell dir vor, Tobey, eine Kellnerin, die nicht etwa davon träumt, Schauspielerin oder Sängerin oder zumindest Besitzerin eines Lokals zu werden, sondern davon, weiterhin eine Kellnerin zu sein, nur an einem anderen, in ihren Augen besseren Ort. Ich bin mal hingegangen. Eine Weile saß ich einfach in der Lobby und sah mir diese Kühlkammer behüteten Wohlstands an, dieses mondäne Museum antiquierter Rituale, dann musste ich raus an die Luft und in die wirkliche Welt. Einige Tage später, als ich im Golden Dragon essen wollte, hing ein Zettel an der Tür: Nicht mehr da, weil Welt schlecht. (Wäre das nicht eine tolle Inschrift für einen Grabstein?) Zwei Männer hatten das Lokal überfallen, die Tageseinnahmen geklautund Nandor mit einer Holzlatte zusammengeschlagen. Lilly hatten sie nichts getan, so stand es jedenfalls im Lokalteil der Zeitung. Ich habe die beiden nie wieder gesehen. Das Lokal wurde verkauft oder neu vermietet, wird jetzt von Rumänen geführt und heißt Shanghai. So schließt sich der Kreis. Manchmal denke ich noch immer daran, ins Inter Conti zu gehen, wo Lilly inzwischen möglicherweise arbeitet, ließ es aber bleiben. Lilly und Nandor sind auch Geschwister, er ist ihr großer Bruder. Vielleicht bist du in London, Tobey, nur ein paar Straßen von mir entfernt, und wir wissen es nicht. Vielleicht hast du mich vergeblich im Telefonbuch gesucht. Vielleicht vermisst du mich so wie ich dich, vielleicht auch nicht. Und vielleicht fragst du dich, warum ich dir das alles erzähle, warum ich dir von Lilly und Nandor erzähle und von einem kleinen dicken Klempner. Während ich dir schreibe, Tobey, sitzen wir nebeneinander auf dem Hügel und sehen den Wolken zu und den Autos, den wenigen, die weit weg wie Spielzeug durch das Grün rollen und kurz aufblitzen, wenn ein Sonnenstrahl sie trifft. Wir essen die Schokolade, die ich zum Geburtstag bekommen habe, und ich zeige auf den Hühnerfalken, der über uns seine Kreise zieht. Ich bin sieben und du fünfeinhalb, und ich weiß, dass der Raubvogel dort oben vom Aussterben bedroht ist, und du kennst den Preis, den ein schlachtreifes Rind auf dem Markt erzielt. Wir reden aneinander vorbei, wir sagen Sätze daher, vor dem Einschlafen gemurmelte Formeln, in denen, so glauben wir, unsere Zukunft anklingt. Wir sprechen, damit wir wissen, dass wir da sind. Weit, weit weg funkeln Regentropfen, und ich behaupte, es seien Tausende von Heringen, die auf die Felder und Wiesen fallen, und du weißt nicht, ob du mir glauben sollst. Wir reden über die Schule und den Kindergarten und was wir auf der Straße und im Radio aufgeschnappt haben, und über Briona und Dad und über den lieben Gott, der wohl zu
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