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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts
Autoren: R Lappert
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sich ein wenig ausgeruht hatte, hüpfte Tobey zurück in die Hütte, schob mit dem Fuß eine Glasscherbe aus dem Aschehaufen, manövrierte sie in eine Lücke zwischen zwei Bodenbrettern, klemmte sie dort fest und legte sich so hin, dass er die Fußfesseln an der Scherbenkante scheuern konnte. Immer wieder löste sich die Scherbe, und er musste sie mit dem Absatz des Schuhs zurück in die Spalte drücken. Er schwitzte, sein ganzer Körper tat weh. Bei jedem Geräusch, das von draußen in die Hütte drang, zuckte er zusammen und blieb minutenlang bewegungslos liegen. Er stellte sich vor, wie Megan mit der Hand über seinen Kopf und durch sein schmutziges Haar fuhr. Er war fünf Jahre alt und lag seit Tagen mit einer Sommergrippe im Bett. Das Fenster stand offen, von Hitze und Staub gesättigtes Licht drang durch den Vorhang. Megan saß auf einem Holzschemel, sang ihre Lieder und strich ihm ab und zu eine feuchte Strähne aus der Stirn. Ihre Stimme summte in seinem glühenden Schädel wie ein Käfer im Einmachglas. »Mary hatte ein kleines Lamm, ihr Vater schoss es tot. Jetzt liegt Marys kleines Lamm zwischen zwei Scheiben Brot.« Er biss große Stücke von dem Brot ab, füllte seine Backen damit, kaute gierig. Das Fleisch war saftig, die Butter süß. Er liefüber das Feld hinter dem Haus, warf mit Erdbrocken nach den dumm stierenden Schafen und kletterte auf das Scheunendach, um den Wolken noch näher zu sein. Die ersten Tropfen fielen, groß und schwer wie reife Kirschen. Jetzt öffnete der Himmel seine Schleusen, das Prasseln auf dem Wellblech wurde zum Höllenlärm, und Tobey sah zu, wie die Welt versank, unterging mit allem, was er hasste. Ein riesiger Bussard trug Megan davon, und er selber wurde auf dem Scheunendach aufs Meer hinausgespült, weit fort, durch eine sternenfunkelnde Nacht und hinter den Horizont, wo er den Strand einer namenlosen Insel betrat und Megan aus den Wolken fiel und in seinen Armen landete und ihn küsste, wie keine Schwester ihren Bruder küsst.
    Als die Scherbe sich erneut löste und Tobey sah, dass der Strick noch nicht einmal zur Hälfte durchgewetzt war, drehte er sich auf die Seite, schloss die Augen und versuchte, nicht zu weinen. Megan hatte nie geweint. Wurde auf dem Hof ein Tier geschlachtet, rannte sie auf einen Hügel und schrie ihren Schmerz so laut in die Welt hinaus, dass Feargal Walsh, dessen Hof fast zwei Kilometer entfernt lag, die Fenster schloss und das Radio aufdrehte.
    Ihre Finger tasteten über den Strick, mit dem seine Handgelenke zusammengebunden waren, dann streichelten sie wieder seinen verschwitzten Kopf. Nach einer Weile hatte Tobey sich beruhigt. In seiner Kehle erstarb ein Schluchzen, und er öffnete die Augen. Diesmal erschrak er nicht, als er den Bonobo sah. Der Affe hockte neben ihm und zog langsam die Hand von Tobeys Kopf zurück. Seine aus dunkelblauen Hosen ragenden Beine waren angewinkelt, die Knie berührten die von einem zugeknöpften Hemd im selben Stoff bedeckte Brust. Er blickte ihn an, schürzte die Lippen und gab einen Laut von sich, leise und fragend. Schließlich erhob er sich und ging davon, in aufrechter Haltung, wie ein Mensch. Tobey wollte ihm nachrufen, er solle bei ihm bleiben, aber er brachte keinen Ton hervor, und der Affe ging weiter, ohne sich umzudrehen.

 
    Nachricht von Megan
     
    Warst du mal in einem Schlachthaus, Tobey? Ich ja. Da ist alles sehr sauber, du musst dir ein riesiges Badezimmer mit grünen Fliesen vorstellen. Schweinehimmel nannte der Chef den Raum, wo die Tiere als erstes reinkommen, wenn sie von den Lastwagen angeliefert werden. Um sechs Uhr früh geht es los, es ist Winter und eisig, und wenn die Ladeklappen auf die Rampe knallen, fangen die Schweine an zu quieken und brüllen, und du bist wach und kalt bis in die Knochen. Dann wird die Luke geöffnet, durch die es nur einen Weg gibt, an einer Absperrung aus Metallstangen entlang in die Wartebucht. Die Schweine sind erschöpft von der langen Fahrt durch die Kälte und verängstigt. Fast in jeder Fuhre gibt es verletzte Tiere, und kommt eins tot an, musst du hinein in den Anhänger und den Kadaver begutachten. Du schreibst Herzversagen oder Kreislaufkollaps auf dein Formular, das ist Tagesordnung. Manchmal scheuchen die Bauern ihre Tiere selber durch die Luke, aber meistens macht das der Treiber. Heute heißt er John und ist ein netter Kerl, nicht allzu helle, aber er gibt dir eine Zigarette und erzählt dir von seinen Kindern und der Garage, die er baut, und
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