Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Auf den Flügeln des Adlers

Titel: Auf den Flügeln des Adlers
Autoren: Peter Watt
Vom Netzwerk:
Baumwolltaschentuch die Tränen abwischte, »aber ich fürchte, meine Tage in dieser Welt sind gezählt. Wenn ich nicht mehr bin, wird Patrick die lenkende Hand seiner Mutter brauchen, um unseren Namen in das nächste Jahrhundert zu führen.«
    Unseren Namen!, dachte Fiona aufgewühlt. Den Namen Macintosh!
    »Unseren Namen«, wiederholte sie. »Vater wäre stolz auf Patrick gewesen. Wenn er ihn doch nur so gekannt hätte wie du, Mama!«
     
    Der Totengräber legte eine Pause ein, um seinem schwitzenden Körper einen Augenblick Ruhe zu gönnen. Auf seine Schaufel gestützt, betrachtete er mit müßiger Neugier die beiden elegant gekleideten Frauen, die ganz in seiner Nähe gleichzeitig lachten und weinten. Bestimmt Irinnen, dachte er. Nur die Iren fanden den Tod spaßig. Sicher gingen sie nach der Beerdigung zu einem Leichenschmaus. Die hatten es gut! Dann schaufelte er weiter Erde in das offene Grab, während die beiden Frauen Hand in Hand langsam davongingen.

70
    Eingeschüchtert von der düsteren Atmosphäre, verharrte Patrick im kühlen Zwielicht der heiligen Höhle der Nerambura und starrte auf die uralten Ockerzeichnungen.
    »Es ist genau, wie ich es mir vorgestellt habe«, sagte Catherine, die neben ihrem Ehemann stand, leise. »Ein Ort von unendlicher Traurigkeit und doch eine wunderbare Erinnerung an ein untergegangenes Volk.«
    »Nicht ganz «, meinte Patrick. Aus Respekt vor dem heiligen Ort sprach er im Flüsterton. »Ich habe gehört, dass es noch einen Menschen gibt, der sich an die Riten erinnert, die die Nerambura hier vor den Zeiten meines Großvaters praktizierten. Einen alten Krieger namens Wallarie.«
    »Wo ist er jetzt?«, fragte Catherine, die sich als Amateurarchäologin für jede greifbare Verbindung mit der Vergangenheit interessierte.
    »Das scheint niemand zu wissen. Immer wieder hört man von den Schwarzen Gerüchte, dass er auf seinen Wanderungen durch das Land gesehen wurde, doch dann verschwindet er spurlos.«
    »Das ist traurig«, seufzte seine Frau, »der Letzte seines Stammes zu sein und ganz allein in unserer Welt zu leben.«
    »Ich glaube, er ist nicht allein«, erwiderte Patrick ruhig. »Ich bin sicher, er lebt mit den Geistern seines Volkes.«
    »Aha!«, meinte sie spitzbübisch. »Sollte etwa der sonst so praktisch gesinnte Erbe des Macintosh-Vermögens ebenso an Geister glauben wie ich?«
    Er wandte sich zu seiner Frau um und lächelte sie an. Als sie seinen Blick erwiderte, lag in ihren Augen der Anflug eines provozierenden Lachens. Wie schön sie doch ist, dachte er, von seiner Liebe zu ihr überwältigt. Doch ihre Schönheit war nicht rein körperlich, sondern besaß einen spirituellen Charakter, den er bis zu seinem Tod lieben würde.
    Als er vor einem Jahr zurückgekehrt war, hatte er Catherine zu seiner Überraschung als Gast im Hause seiner Großmutter vorgefunden. Seitdem waren sie einander nicht mehr von der Seite gewichen. Auch Lady Enid Macintosh hatte nichts gegen eine gute Protestantin einzuwenden gehabt, die der Kirche von Irland angehörte. Der Stammbaum des Mädchens schien einwandfrei zu sein, obwohl sie Irin war.
    Wie sie es ihrer Tochter versprochen hatte, hatte Enid Patrick erzählt, dass sie all die Jahre die Wahrheit vor ihm geheim gehalten hatte. Er hatte ihr Geständnis ohne Zorn angenommen, ganz wie sie es gehofft hatte. In seinem eigenen Leben war zu viel geschehen, als dass er sich als Richter hätte aufspielen wollen.
    Eines Tages wollte er nach Deutschland reisen, wo er seine Mutter um Vergebung dafür bitten wollte, dass er in seiner Verblendung die Liebe, die sie stets für ihn empfunden hatte, in Abrede gestellt hatte. Eine Liebe, nach der er sich verzweifelt sehnte, so wie er sich nach der Liebe der schönen Irin gesehnt hatte, die er schon verloren geglaubt hatte. Über die Beziehung zwischen Catherine und seinem Vater hatten sie nie gesprochen.
    »Ich glaube, manchmal verstehe ich, wie sich der alte Krieger fühlen muss«, sagte Patrick ernst. »Als ich im Sudan von der Armee abgeschnitten war und in der Wildnis herumirrte, erging es mir ganz ähnlich. Es ist schwer zu erklären.«
    »Du brauchst mir nichts zu erklären«, entgegnete Catherine sanft. »Manche Dinge lassen sich nicht in irdische Worte fassen. Doch für den Augenblick sollten wir den Schlaf der Geister, die hier zu Hause sind, nicht weiter stören, Liebster. Ich schlage vor, wir kehren zum Haus zurück und genießen die wunderbare Gastfreundschaft der Camerons.«
    »Da hast du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher