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Auf den Flügeln der Sehnsucht

Auf den Flügeln der Sehnsucht

Titel: Auf den Flügeln der Sehnsucht
Autoren: Stefanie Burgemeister
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hingestellt hatte, blieben größtenteils unberührt.
       Endlich war die Zeremonie vorbei, die kleine Trauergemeinde löste sich langsam auf. Nur der Mann, der Werner hieß, und seine Begleiterin Monika standen noch da. Stumm hatten sie die Beileidsbezeigungen der Freunde, Nachbarn und Kollegen über sich ergehen lassen. Jetzt waren sie froh, dass sie es hinter sich gebracht hatten, ohne die Fassung zu verlieren.
       "Was wirst du jetzt tun, Werner?" fragte die Frau leise, während sie mit bedächtigen Schritten auf das Friedhofstor zugingen. "Wirst du hier bleiben?"
       Der Mann schüttelte heftig den Kopf. "Ich weiß es noch nicht", gestand er leise. "Doch ich kann mir nicht vorstellen, dass ich da bleiben kann, wo mich alles so lebhaft an Tina erinnert, als würde sie gleich mit ihrem Motorrad angebraust kommen und mir lachend zuwinken."
       "Ich versteh dich sehr gut, Werner. Immerhin war Tina meine große Schwester und ich hab sie von Herzen lieb gehabt, liebe sie noch immer, auch wenn sie nicht mehr da ist." Sie dachte eine Weile nach. "Vielleicht werde ich auch gehen. Iris hat mich eingeladen, eine Zeitlang bei ihr zu bleiben, bis die schlimmsten Wunden nicht mehr so weh tun."
       "Du willst bis nach Norddeutschland?", fragte Werner verblüfft. "Ich kann mir nicht vorstellen, im Flachland leben zu müssen."
       "Iris hat einen Landwirt geheiratet. Sie haben Milchwirtschaft und eine Menge Hühner. Sicher würde es ganz lustig sein, eine Weile bei meiner früheren Schulfreundin zu bleiben. Ich könnte ja fragen, ob du in den Ferien ebenfalls kommen kannst."
       "Das ist sehr lieb von dir gemeint, Monika, doch ich möchte nicht unbedingt nach Norddeutschland. Eigentlich hatte ich vor, meinen Urlaub, und zwar die ganzen sechs Wochen, im Hochgebirge, in den Alpen zu verbringen. Außerdem hab ich meine Arbeit an der Schule aufgegeben. Vielleicht komme ich gar nicht mehr nach hier zurück."
       Monika war stehengeblieben. Sie hatten jetzt den Parkplatz erreicht, der zum Friedhof gehörte. "Und dann? Was soll dann werden? Du kannst nicht ewig von deinem Ersparten leben. Der Unterhalt ist ziemlich teuer, verschlingt deine ganzen Rücklagen, zumal dann ja nichts mehr dazu kommt."
       "Ich werde mich schon irgendwie durchschlagen." Sie waren jetzt bei Werners Auto angekommen. "Soll ich dich fahren?"
       Monika schüttelte mit einem traurigen Lächeln den Kopf. "Das kann ich schon noch selbst tun. Wir Frauen von der Familie Groß sind nicht aus Zuckerwatte. Selbst wenn es scheint, als würde es gar nicht mehr weitergehen, dann finden wir immer noch ein Schlüsselloch, durch das wir schlüpfen können. So leicht lassen wir uns nicht unterkriegen. Und ich weiß, Tina hätte das gar nicht gut geheißen, wenn wir beide uns würden hängen lassen. Mach das Beste aus deinem Leben, genau wie ich. Tina soll stolz sein auf uns." Ihre Worte klangen zuversichtlicher als ihr zumute war.
       Werner nickte. "Hast ja recht, Moni. Weißt du, dass du sehr viel Ähnlichkeit hast mit deiner Schwester?" Er reichte ihr die Hand. "In zwei Wochen geht es los. Vergiss mich nicht, Moni. Ich... werde auch immer an dich denken."
       "Viel Glück, Werner. Schade, dass wir nicht verwandt geworden sind. Hätte Tina nicht ihr Herz an dieses Motorrad..." Sie biss sich auf die Lippen. "Melde dich mal, Werner", sagte sie und lief davon. Wenig später sah er ihr kleines rotes Auto in der nächsten Kurve verschwinden.
       Werner stand noch eine ganze Zeitlang da und starrte zu der hohen Hecke, die den Friedhof umgab. Dort lag seine Liebe begraben, der einzige Mensch, mit dem er hatte zusammenleben wollen. Mit Tina hatte er auch seine Zukunft beerdigt, davon war er überzeugt. Jetzt galt es nur noch, die Zeit irgendwie herumzubekommen, bis er ihr folgen durfte in das andere Land, das jetzt ihre Heimat war.
     
    * * *
     
       "So darf es nicht mehr weitergehen, Vater. Ich... kann die Arbeit allein gar nicht schaffen." Lena Baumann kam gerade vom Friedhof, wo sie frische Frühlingsblumen ans Grab ihres Bruders gebracht hatte. Acht Monate war Josef jetzt tot, doch der Vater tat noch immer so, als müsse der Sohn jeden Moment zurückkommen.
       Müde schaute der alte Mann auf. Die vergangenen Monate hatten ihre Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Er war um Jahre gealtert, ließ sich zudem noch hängen, weil ihm das Leben einfach keine Freude mehr machte. "Willst verkaufen?"
    fragte er ohne besonderes Interesse.
      
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