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Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
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Pilgerweg nach Santiago de
Compostela.
    Schon etwa
hundert Jahre vor Auffindung des Apostelgrabes waren die Mauren, von Nordafrika
kommend, in Iberien gelandet, hatten in wenigen Jahren das dortige Reich der
Westgoten zerstört und damit begonnen, das christliche Spanien zu islamisieren.
Nur im Norden des Landes konnten sich — aus der westgotischen
Hinterlassenschaft — kleine christliche Gebiete gegen die Mauren behaupten und
allmählich zu kleinen Königreichen auf steigen: Navarra und Aragon,
gelegentlich unter einer Krone vereint, Asturien, das bald Galicien übernahm,
selbst aber in das spätere Königreich León eingeschmolzen wurde, und die
Grafschaft Kastilien, die erst im 11. Jahrhundert zu einem Königreich aufstieg,
sich dann aber das Königreich León mit Asturien und Galicien einverleibte.
Diese christlichen Relikte waren es, aus denen heraus ganz allmählich, aber mit
ständig zunehmender Kraft, die „Reconquista“, also die Wiedereroberung der
ehemals christlichen Gebiete in Spanien, betrieben wurde. Durch diese Gebiete
verlief nach dem Auffinden des Apostelgrabes der Pilgerweg nach Compostela, auf
dem sich zunehmend größer werdende Menschenströme aus allen damaligen
europäischen Ländern vereinten und damit den Jakobsweg nicht nur zu einer
unverzichtbaren Lebensader für die Reconquista machten, sondern auch zu einer
Bedingung für ein europäisches Bewusstsein, das sich in jenen Jahrhunderten
gerade erst entwickelte.

    Ich bekomme
allmählich Hunger und noch mehr Durst und denke daran, unter einem Baum Rast zu
machen. Aber da sitzt plötzlich Heinz, der vorausgegangen war, am Rand eines
Pinienwäldchens und freut sich, dass er zum Essen Gesellschaft bekommt.
    „Der
spanische Schinken ist doch einmalig, oder schmeckt der dir nicht?“ will ich
von ihm wissen.
    „Da kannst
du mich mit unserem Schinken jagen, so gut ist der hier.“
    „Ja, das
sage ich auch.“
    „Wie die den
nur würzen, das möchte ich wirklich wissen.“
    „Von denen
könnten unsere Metzger was lernen.“
    Zwei Pilger
kommen angeschnauft, die wir aus der Herberge von Roncesvalles schon kennen,
Alberto und Octavio, beide aus Brasilien. „Wo ist denn euer dritter Mann“,
frage ich.
    „Wen meint
ihr?“
    „Na den
großen, kräftigen Kerl.“
    „Ach, ihr
meint Paolo.“
    „Ja, Paolo,
genau den.“
    „Der ist
noch hinter uns, der ist später weg, wollte irgendwo Kaffee trinken.“
    „Kennt ihr
den schon aus Brasilien?“
    „Nein, nein,
den haben wir erst in Roncesvalles getroffen. Wir beide kannten uns vorher auch
noch nicht.“
    Und schon
ziehen sie mit einem Lachen im Gesicht weiter, „hasta luego“ — man wird sich
bald wiedersehen.
    Wir bleiben
noch eine Weile sitzen und strecken die Beine von uns, gähnen, trinken nochmals
Wasser, setzen dann unsere Rucksäcke auf und sind wieder auf dem Camino.
     
     

Pan spielt
vor dem Kuhstall Flöte
     
    Es geht
jetzt ziemlich steil und holprig bergab, und das ist mir unangenehmer als das
Steigen. Meine Fußzehen stoßen beim Abwärtsgehen in meinen schweren Wanderschuhen
an und schmerzen. Ich überlege, ob ich sie für den Rest des heutigen Weges
nicht besser gegen meine Turnschuhe tauschen sollte. Aber dann sind wir auch
schon unten und stoßen auf die Nationalstraße Nr. 135, die wir überqueren
müssen. Das Gelände wird wieder flacher.
    Auf der
anderen Seite der Straße, dort, wo unser Pfad nach links wieder in den Wald
hineinführt, lehnt ein Mann an einem Mäuerchen, locker und völlig in sich
versunken. Ein bisschen rundlich, vielleicht um die vierzig Jahre alt, auch er
mit Rucksack. Weil er bei unserem Näherkommen „óla“ ruft und uns zulächelt,
gehen wir zu ihm hin und sprechen ihn an. Es stellt sich heraus, dass er
Franzose ist und dass er letzte Nacht nicht in Roncesvalles, sondern in
Burguete, durch das wir heute am frühen Morgen gelaufen waren, übernachtet
hatte. Irgendwie ist er anders als die anderen Pilger, die wir bislang
kennengelernt haben. Ihm fehlt das Zupackende, das Vorwärtsdrängende, sein Ziel
scheint nicht mal bis zur nächsten Pilgerherberge zu reichen, offenkundig
genießt er jeden Augenblick so intensiv, dass kein Platz für etwas anderes
bleibt. Ein Träumer also.
    Wir wünschen
ihm „buen camino“ und gehen weiter.
    „Hast du
gesehen, dass der eine Flöte an seinem Rucksack hängen hatte?“ fragt mich
Heinz.
    „Ja, ja,
vielleicht war das gar kein Mensch, vielleicht war das der Hirtengott Pan.“
    „War das der
mit der
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