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Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
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können. Offensichtlich hat man sich auf diese Pilgerreise gut vorbereitet, oder
man spricht die Sprache aus anderen Gründen.
    So sitzen
wir denn hier an der langen Tafel, aufgereiht wie die Zugvögel im Herbst,
hungrig, durstig und natürlich neugierig, was die anderen „Zugvögel“ zu
erzählen haben, wo sie herkommen, und wo sie hinwollen. Da sind Octavio,
Alberto und Paolo aus Brasilien, wir hatten sie schon beim Abendessen im
Kloster kennengelernt. Da lachen die vier älteren Mädchen aus der Pfalz und
erzählen von ihren Blasen. Da sitzt mir gegenüber ein nicht mehr ganz junges
Ehepaar aus Frankreich, beide sehr klein und zartgliedrig, er ein bisschen
scheu und sie sehr liebenswürdig. Da hört man irgendwo im Saal das helle, warme
Lachen, das wir schon aus der Herberge in Roncesvalles kennen, das kann nur die
kleine, sprudelnde Krankenschwester aus Barcelona, das kann nur Carmen sein.
Und oben am Tisch sitzt ein älteres Ehepaar aus der Schweiz. Sie unterhalten
sich mit den zwei Pilgerinnen, die wir auch schon auf dem Camino getroffen
haben und von denen die Blonde auf meine Frage, wo sie herkämen, geantwortet
hatte, man sähe ihr doch an, dass sie ein „Kaaskopp“ aus Holland sei. Und dann
muss ich natürlich auch noch Jeanette erwähnen, eine Studentin aus
Norddeutschland, ein hübscher Bubikopf mit so strahlend blauen Augen und so
schönen und so vollen roten Lippen und einer fast noch kindlichen
Unbekümmertheit. Andere, die wir auch schon kennen, sitzen an den übrigen
Tischreihen. Es wird viel geplaudert und gelacht.
    Alle wollen
nach Santiago und natürlich zu Fuß, als echte Pilger. Da ist der bärenstarke
Paolo aus Porto Alegre mit seinem riesigen Pilgerstab. Er ahnt noch nicht, dass
er im strömenden Regen in Galicien, kurz vor dem Ziel, würde aufgeben müssen.
Die vier älteren Mädchen aus der Pfalz können noch nicht wissen, dass nur eine
von ihnen überhaupt nach Santiago kommen würde und auch das nur mit dem Bus.
Ebenso der kleine, zierliche Franzose mir gegenüber weiß noch nicht, dass er,
im noch fernen Galicien, alleine durch den patschenden Regen würde tippeln
müssen, triefend vor Nässe und einem Wichtelmann ähnlicher denn einem Pilger.
Und die strahlende Jeanette ahnt noch nichts von dem verliebten Mönch, etliche
Etappen später, in einer Klosterherberge. „Ma chère Jeanette, ma chère
Jeanette“ würde er immer wieder zu ihr sagen und immer wieder ihre Hände
nehmen, „ma chère Jeanette, ma chère Jeanette“ — und seine Augen würden
leuchten und gleichzeitig traurig sein. Jeanette aber, „ma chère Jeanette“,
würde weiterziehen. Unser Pilgerkamerad aus der Schweiz, oben am Tisch bei den
beiden Holländerinnen, weiß nicht, dass er auf dem Camino plötzlich sterben
würde.
    Bevor ich in
meinen Schlafsack krieche, setze ich mich noch zu Señor Santiago Zubiri ins
Büro. Wir plaudern über den Jakobsweg, über Spanien, über Deutschland, wo er
schon einige Male war. Ganz nebenbei erfahre ich, dass er nicht nur der
Herbergsvater, sondern auch der Alcalde von Larrasoaña ist, also der
Bürgermeister. Noch später schließlich, auf dem Camino, höre ich dann, dass man
ihn „el alcalde del camino“ nennt, den Bürgermeister nicht „am“ Jakobsweg,
sondern den Bürgermeister „des“ Jakobsweges.
     
     

Rast
vor der Basílica de la Trinidad
     
    Wir haben heute
nur eine Wegstrecke von etwa zwanzig Kilometern vor uns, denn wir wollen in
Pamplona in der Pilgerherberge übernachten. Sie soll zentral gelegen sein. Da
wir schon vor sieben Uhr im ersten Morgenlicht aufbrechen, können wir uns
ausrechnen, dass am Nachmittag noch genügend Zeit bleiben wird, in der Stadt
herumzubummeln.
    Zunächst
geht es überwiegend auf schmalen, zum Teil schattigen Pfaden dahin, der Río
Arga ist nicht weit, manchmal laufen wir auch unmittelbar an seinem grünen
Wasser entlang und bei Zuriáin überqueren wir ihn schließlich. Bei Anchoriz
müssen wir allerdings wieder auf seine linke Seite hinüber. Von der Brücke aus
beobachten wir einen Angler beim Fliegenfischen. Danach laufen wir durch das
halbverlassene Dörfchen Iroz und müssen bald erneut eine alte romanische Brücke
mit drei ungleichen Bögen überqueren. Hinter Zabaldica steigt unser Weg an,
weil wir an den Hängen des Monte Narval entlang wandern. Von hier hat man eine
weite Aussicht auf das Tal des Arga.

    Es ist
wieder heiß geworden. Aber ich schwinge fröhlich und frei meinen Pilgerstock.
Erst
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