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Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
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Silber
überzogen, mit Gold und Edelsteinen verziert und besonders schön ist. Viele
Pilger, vielleicht alle, haben in der Kirche Platz genommen. Plötzlich
erscheinen am Altar neun Priester in weißen Gewändern. Wir Pilger werden sehr
herzlich und sehr persönlich angesprochen: dass unser Weg nach Compostela nur
ein Spiegelbild des Lebens sei, denn auch dieses sei eine einzige Pilgerreise
hin zu jener ewigen Stadt, in der unser unruhiges Herz seine Ruhe und seine
Heimat finde. Und dass man uns Gesundheit und Kraft auf unserem langen Weg
wünsche. Dann wird die Messe gelesen.
    Plötzlich
erkenne ich unter den neun Priestern den Polen wieder, der mir am Nachmittag
vor der Herberge sein geschundenes Bein gezeigt hatte. Ja, und da oben am Altar
steht doch auch der Pilger, der am Nachmittag in den Pyrenäen mit dem „Storch“
so schnell an uns vorbeigezogen war. Heinz, dem ich meine Entdeckung zuraune,
stimmt mir zu. „Ja, das ist er, ganz sicher.“
    Später, in
der Kneipe, beim Forellenessen und der für Pilger so wichtigen Flasche Wein,
bestätigte sich diese Vermutung. Er hieß Tobias, war ein junger Pfarrer aus
Deutschland und hatte sich von seinem Bischof in die Freiheit einer Pilgerreise
schicken lassen. Und weil er aufgeschlossen und fröhlich war, ergab es sich,
dass wir unsere Reise mit ihm gemeinsam fortsetzten.
     
     

Eine „Grosse
Nachtmusik“ in der Pilgerherberge

    Es ist etwa
22 Uhr 30, ich liege im ersten Stock einer ziemlich wackligen Bettanlage und
merke erst jetzt richtig, da alle in den Betten liegen, wie eng es hier ist.
Läge in meinem Bett ein junger, schöner Mann und nicht ein alter Graubart wie
ich, dann könnte er mit der hübschen Französin Monique, die rechts neben mir
liegt, über den schmalen Spalt unserer Betten hinweg ohne weiteres Händchen
halten. Und mit meiner brasilianischen Nachbarschaft am Fußende, die sich in
die entgegengesetzte Himmelsrichtung ausgestreckt hat, also mit ihren Füßen an
meinen Füßen angrenzt, könnte er, ohne sich sonderlich strecken zu müssen, auch
ein bisschen Kontakt aufnehmen. Aber da müsste er mit Komplikationen rechnen.
Denn an meinem Fußende liegt nicht eine Sambatänzerin aus Rio, sondern der
hünenhafte Paolo aus Porto Alegre, dem Land der Pampas und Gauchos, wie er mir
schon vorhin in der Kneipe erzählt hat.
    Für mich in
meinem Stockbett bleibt jedenfalls nur, die uralten, verräucherten Balken über
mir zu bewundern. Sie sind mir so nahe, dass ich auch sie mit den Füßen
erreichen könnte. Mir fällt auf, dass diese Balken sehr stark durchgebogen
sind. So drängt sich die Vermutung auf, dass das an den Geschichten liegen
könnte, die sich hier die Pilger wohl gelegentlich erzählt haben.
    Aber da geht
schon das Licht aus, und ich sehe auch die Balken nicht mehr. In unserem
Schlafsaal ist es stockdunkel.
    Gemessen an
den Umständen herrscht jetzt eine erstaunliche Stille im Saal. Aber es ist
nicht die entspannte Stille eines ausklingenden Sommerabends am Waldrand, es
ist die angespannte Aufmerksamkeit des vollen Opernhauses, wenn die Lichter
ausgegangen sind und alles gebannt auf den Einsatz des Orchesters wartet. Wie
wird wohl die heutige Ouvertüre beginnen? Wird es ein hauchzartes, lyrisches
Piano sein, oder wird ein Fanfarenstoß, passionato et furioso, die Herberge
erzittern lassen? Plötzlich legt sich die fast unerträglich gewordene Spannung.
Drei Betten rechts von mir, und zwar unten zu ebener Erde, sozusagen im
Orchestergraben, meldet sich der erste Schnarcher — selbstbewusst, viril,
fortissimo. Sofort gibt es Szenenapplaus, kein Händeklatschen zwar, aber
Gelächter, oder, sagen wir es genauer, hörbares Lächeln. Schnell fallen jetzt
andere Musikanten ein, aber alle hier versammelten Instrumente haben ihr ganz
individuelles Timbre. Die Töne schwellen an, schmelzen ineinander, der ganze
Klangkörper gewinnt an Fülle und Kraft. Wie schön, wie ausdrucksvoll das doch
ist! Diese wundervolle Musik in meinen Ohren, der vergangene Tag nochmals vor
meinen Augen, der abendliche Pilgerwein in meinem Kopf, alles verbindet sich in
Harmonie, flutet in mein Unterbewusstsein, in meine Seele hinüber, ich bin
entspannt und schlafe ein.

    Aber dies
sind nicht die einzigen Geräusche einer Pilgernacht. So nach einigen Stunden
melden sich die Blasen, aber nicht die an den Füßen. Da ist es zweckmäßig, wenn
man sich vor dem Einschlafen den Weg hinaus gut eingeprägt hat, der Weg im
Dunkeln durch diesen Bettenirrgarten könnte sonst
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