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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers
Autoren: Will Berthold
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Besuch hätte er sich schon gefreut?
    Er stand am Fenster, sah hinaus auf die Blumenrabatten. Die Sträucher sahen kläglich aus mit ihren leeren Strünken, gegen die Kälte in Zellophan eingehüllt. Es mußten Rosen sein, und wenn es Sommer wäre, würden sie blühen.
    Aber es war Winter, Winter der Zeit wie des Lebens. Die Bäume streckten ihre Arme wie verloren in den Nebel. Und wenn sich diese Decke hob, lag Schnee auf den Ästen und machte ihnen das Warten auf den Frühling schwer.
    Die Heil- und Pflegeanstalt Siebenberge, in die Christian, zunächst einmal auf drei Monate zur Beobachtung richterlich eingewiesen worden war, lag am Rande der Stadt. Mitunter schien es Christian, dessen Heiterkeit schon bei der Einlieferung aufgefallen war, als seien die Ärzte in diesem Hause die einzig Verrückten, die sich frei bewegen durften.
    Er wurde auf der Abteilung IIc untergebracht, dem vornehmsten Trakt der riesigen Anstalt, nicht nur, weil ein Stockwerk tiefer die Kantine für das Personal lag.
    Auf diesem Flügel waren die Räume größer und die Behandlungsmethoden individueller. Die Patienten durften sich gegenseitig in ihren Stuben besuchen. Verschlossen war nur das Eisengitter am Eingang. Es war nicht unwichtig für die Privatpatienten dieser Station, denn auf dem gegenüberliegenden Flügel waren die schizophrenen, die manisch-depressiven Patienten, untergebracht, oft zehn in einem Raum, wiewohl sie fremdgefährdend waren.
    Christian kannte erst einige seiner Mitpatienten auf Station IIc. Am liebsten war ihm ein großer, dunkler Mann mit vollem Haar, Erich Strehl, ein hochbegabter Wirtschaftsprüfer und ein hoffnungsloser Alkoholiker; der Mann hatte eine Sondergenehmigung zum Telefonieren erhalten – und durch fernmündliche Aktienspekulationen über zweihunderttausend Mark Gewinn erzielt, den er gerne für eine einzige Flasche Schnaps in Zahlung gegeben hätte.
    Die anderen Patienten auf dieser Seite waren reiche Leute, zu einem armseligen Leben verurteilt. Sie hatten scheue Augen, zitternde Hände und bleiche Gesichter. Sie wirkten verkümmert wie Zimmerpflanzen. Sie waren keine Verbrecher: sie hatten sich nur vom Alkohol morden lassen.
    »Sie haben Besuch«, meldete Pfleger Krautkopf, der gutmütigste, ein wenig einfältige Wärter der Station. »Ein Mädchen.«
    Der Pfleger schnalzte mit der Zunge: »Zucker.«
    In den Besuchsraum geführt, stieß Christian auf Jutta.
    »Würden Sie uns bitte allein lassen?« bat das Mädchen.
    »Ja, aber …«, entgegnete Krautkopf.
    »Ich habe Besuchserlaubnis unter vier Augen«, erklärte Jutta.
    Sie wartete, bis der Pfleger die Tür geschlossen hatte.
    Jutta wollte sich nicht anmerken lassen, wie sehr sie die Begegnung an diesem Ort erschütterte; sie gab sich geschäftsmäßig: »Wir wollen dir helfen«, sagte sie.
    »Wer ist wir?« fragte Christian.
    »Erik und ich.«
    »Was habt ihr miteinander?«
    »Wir mögen uns.« Jutta bemerkte, daß in Christians starre Pupillen ein wenig Leben kam.
    »Ihr mögt euch? Mein Gott …«, sagte er.
    »Jeder trägt sein Päckchen«, erwiderte sie, »nicht bloß du.« Sie schob ihm ein Formular zu: »Unterschreib das, bitte, für deinen Anwalt.« Er tat es ohne Widerspruch: er war wie ein vornehmer Patient behandelt, aber isoliert worden. Der Weg hierher konnte nicht einfach gewesen sein. Hätte ihn der Konzern geebnet, wäre Erik zur Visite mitgekommen.
    »Wo ist Erik?«
    »Er läßt dich grüßen. Er hat keine Besuchserlaubnis«, sagte Jutta. »Ich soll dir bestellen, daß er sich ausschließlich mit deiner Freilassung beschäftigen wird.«
    »Erik«, antwortete Christian mit Augen, die nicht mehr leblos waren, sondern naß. »Und wie bist du hierhergekommen?«
    Der Krankenpfleger Krautkopf streckte sein freundliches Gesicht durch die offene Tür: »Bitte, Fräulein Müllner«, sagte er. »Sie haben die Besuchserlaubnis schon überschritten.«
    »Über Leichen«, versetzte Jutta. »Leb wohl, Christian.«
    Sie küßte ihn, er stand reglos da und sah ihr nach, als sie längst gegangen war.
    Als Christian spürte, daß er noch Freunde hatte, wollte ihm sein Leben noch einmal einreden, daß es noch nicht zu Ende sei.
    Dabei war heute Wolfgangs Beerdigung.
    »Um so besser, daß du gleich selbst am Telefon bist«, sagte Aglaia, und für Erik ließ der Ton ihrer Stimme auf ihre Süffisance schließen: »Ich muß dich sprechen.«
    »Ich dich auch«, antwortete er und verabredete sich mit seiner Frau in ihrem Münchener Hotel.
    Aglaias
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