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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers
Autoren: Will Berthold
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zurückzugeben.
    »Dann weiterhin gute Besserung«, wünschte Dr. Jungmann und verließ das Haus.
    Christian sah sich um: etwas hatte sich im Raum verändert. Er entdeckte unter dem Schreibtisch am Fenster eine Kiste.
    Er klingelte dem Pfleger.
    »Was ist das?« fragte er den Wärter Krautkopf.
    »Ein Geschenk«, antwortete der Mann, »wurde für Sie abgegeben.«
    Alle Pakete mußten durch eine anstaltseigene Zensur: Gesundheitsküchen und Salamis ließ man durch, Wein und Schnaps wurden konfisziert, und Alkohol wäre das einzige, was Christian reizen könnte.
    Er vergaß die Kiste.
    Am Abend sah er sie wieder: auf einmal nahm er die Witterung auf – genauso wie vor kurzem in Wolfgangs Zimmer.
    Er zog die Kiste hervor, öffnete den Deckel und starrte gierig eine geballte Ladung Whisky an.
    Mißtrauisch riß er die erste Flasche auf, roch, trank.
    Vielleicht war es ein Geschenk Juttas, weil sie ihn schon aufgegeben hatte. Oder eine Liebesgabe Aglaias. Jedenfalls war es Alkohol, 43prozentig, ausländisches Erzeugnis. Christian wußte, daß auch er seine Weihnachtsfeier haben würde.
    »Er hat es Aglaia leicht gemacht«, sagte Jutta zu Erik, der an ihrer Seite saß, im ›Drugstore‹ gleich um die Ecke der Mansardenwohnung. »Mein Freund Nadler hat jetzt endlich die Akten erhalten«, fuhr sie fort. »Es ist ein Haufen Müll.«
    Erik war kein Jurist, aber er hatte begriffen, daß dieses Verwahrungsgesetz Aglaia eine gemeine Waffe überantwortete: Zwar war seine Frau die Verliererin, was Konzern-Ehrgeiz und gesellschaftliche Ambitionen betraf, aber gerade deswegen würde sie den Würgegriff bei Christian nicht lockern.
    »Entscheidend wird das Gutachten sein«, schloß Jutta die juristische Debatte am falschen Ort: »Dr. Jungmann ist kein übler Kerl, aber sein Sachverständigenurteil hängt davon ab, wie sich Christian in den nächsten drei Monaten führt.«
    »Drei Monate?« fragte Erik.
    »Es hat keinen Sinn, den Dingen auszuweichen. So lange dauert es mindestens, bis wir Christian aus Siebenberge herausholen können.«
    Sie waren Stammgäste in diesem Etablissement; wer vorbeiging, nickte ihnen zu oder blieb stehen, redete ein paar Worte oder erging sich am Nebentisch über das ungleiche Paar. Erik und Jutta überhörten es, zudem gab hier der Verstärker den Ton an. Sie hatten einander; es schien Erik schön und unwirklich, wenngleich er vor dem Mädchen seinen Trost verhehlte, daß die unerfüllte Liebe auch die schönste sei.
    Jutta merkte, daß sich der Freund jetzt mit einem anderen Dilemma beschäftigte als dem Verhängnis mit Christian. Als sie ihn ansah, mußte sie sich gestehen, daß ihr die Rolle einer verzichtenden Samariterin nicht auf den Leib geschrieben sei, daß überhaupt der Leib begänne, zu verlangen, was des Leibes ist. »Schau mich nicht wieder so entsagungsvoll an«, sagte sie.
    Erik setzte sich über die Spielregeln hinweg: »Hast du mich schon betrogen?« fragte er.
    »Nein.«
    »Wirst du es tun?«
    »Das weiß ich nicht«, entgegnete Jutta. »Ich habe es nicht vor.«
    Ein junger Bursche ging vorbei, für Erik ein neuer alter Bekannter: Wagenseil, der von Juttas Vater verurteilte Student.
    »Na, ihr beiden?« rief er. »Ihr seid ja wie die Karnikkei.«
    »Du warst auch schon witziger«, erwiderte Jutta.
    »Wenn ihr euch langweilt, wüßte ich 'ne dufte Freizeitgestaltung«, sagte er, »der Mäuse-Flex gibt eine Schweineparty.«
    »Wer ist der Mäuse-Flex?« fragte das Mädchen.
    »Der Zahnstocher-König«, antwortete der Student. »Er hat ein dummes Weltpatent. Noch nie von ihm gehört?« Er lächelte breit: »Er muß seine Damen mit Mäusen traktieren, wenn er etwas von ihnen haben will.«
    »Bist du der Mäuselieferant?«
    »Vielleicht zünden wir ihn an«, erwiderte der Student. »Seid nicht fad', kommt nach.« Er nannte ihnen die Adresse. »Jeder ist eingeladen«, setzte er hinzu.
    Erik bestellte Schnaps. Er hatte in der letzten Woche mehr getrunken als sonst in einem Jahr. Er mußte gestehen, daß er den Alkohol nicht mehr als Hebel gegen seine Hemmungen ansetzte, sondern das Zeug, das sich an Christian vergangen hatte, bereits goutierte.
    Jutta legte ihre Hand auf Eriks Arm. Er wollte ihn zurückziehen. Dann schob er sich in einer ein wenig mechanischen Art näher. Er sah Jutta an, wie ein Defraudant die Geschädigte.
    »Mußt du schon wieder an diese doofe Fickerei denken?« fuhr sie ihn an.
    »Mußt du dich so hundsordinär ausdrücken?« rief er.
    »Ist es denn etwas anderes?«
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